Mein heutiges Sonntagsschmankerl
Joachim Ringelnatz (* 7. August 1883 in Wurzen; † 17. November 1934 in Berlin; eigentlich Hans Gustav Bötticher) war ein deutscher Schriftsteller,Kabarettist und Maler, der vor allem für humoristische Gedichte um die Kunstfigur Kuttel Daddeldu bekannt ist.
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Joachim Ringelnatz wurde am 7. August 1883 unter dem bürgerlichen Namen Hans Gustav Bötticher in dem kleinen Ort Wurzen nahe Leipzig geboren. Bereits seine Eltern waren kreative und künstlerisch tätige Menschen. Sein Vater arbeitete als Musterzeichner und veröffentlichte später Kinderbücher und humoristische Verse. Die Mutter zeichnete ebenfalls, sie entwarf Mustervorlagen für Perlenstickereien. Außerdem stellte sie Puppenbekleidung her. Eine behütete Kindheit und eine schwere Schulzeit, diese beiden Merkmal prägten Joachim Ringelnatz. Er wurde oft von seinen Klassenkameraden gehänselt. Nachdem er wegen eines Streiches das Gymnasium verlassen musste, beendet er seine wenig erfolgreiche Schullaufbahn auf einer privaten Realschule.
Obwohl ihn das künstlerische Schaffen seiner Eltern, insbesondere seines Vaters, sehr beeindruckte, wollte er zunächst Seemann werden. Doch die Laufbahn als Matrose fand ein rasches Ende. Auch hier war er wieder Zielscheibe von Hänseleien. Klein von Gestalt, mit einer mädchenhaften Frisur und von einer übergroßen Nase gezeichnet, wurde er von der Schiffsbesatzung nicht akzeptiert. Ringelnatz begann zu schreiben und hielt sich gleichzeitig mit Aushilfsarbeiten über Wasser. Hier hatte er keinerlei Berührungsängste. So arbeitete er zum Beispiel als Schaustellergehilfe und Schlangenträger auf dem Hamburger Dom, einem bekannten Jahrmarkt.
https://de.wikisource.org/wiki/Joachim_Ringelnatz
Seine ersten schriftstellerischen Versuche, Gedichte, Anekdoten und Märchen, veröffentlichte er in der satirischen Zeitschrift „Grobian“. Sein Lebensweg führte ihn von einer Gelegenheitsarbeit zur nächsten. Ringelnatz war oft ganz am Boden, litt Hunger und schien zu einem erfolglosen Künstlerleben verdammt. Immer wieder versuchte er sich auch auf der Bühne. Er trat als Sänger und Kabarettist auf. Dann veränderte im Jahr 1909 ein Engagement in der bekannten Münchner Künstlerkneipe Simplicissimus sein Leben. Er wurde gewissermaßen dort Hausdichter und veröffentliche seine Werke in der gleichnamigen Zeitschrift. Der finanzielle Erfolg war Ringelnatz zwar niemals beschieden, er musste sein Leben lang sparen und geriet immer wieder in schwierige Lagen. Jedoch arbeitete er nun beständig an seinen Gedichten und fand in der Kombination von Humor, Satire und Zeitkritik seine lyrische Heimat.
Das geheime Kinderspielbuch
https://de.wikisource.org/wiki/Geheimes_Kinder-Spiel-Buch
1920 heiratete Joachim Ringelnatz die Lehrerin Leonharda Pieper. Das Paar zog nach Berlin, dort trat er erfolgreich im Kabarett auf. Häufig war er als reisender Künstler unterwegs, er bezeichnete sich selbst als Artist. Unter dem nationalsozialistischen Regime traf Ringelnatz schließlich ein Auftrittsverbot. Er litt an Tuberkulose, seine angeschlagene Gesundheit verschlimmerte die finanzielle Lage zusätzlich. Bis zu seinem Tod am 17. November 1934 überlebte das Paar überwiegend durch private Zuwendungen von Freunden.
Er hinterließ ein beeindruckendes Werk. Die Gedichte von Joachim Ringelnatz sind scharfzüngig und bringen in brillanter Poesie Missstände auf den Punkt. Einen ebenso großen Raum nimmt seine sogenannte Unsinnspoesie ein. Hier zeigt er sich als Dichter, der mit Wortwitz und Charme bis hin zur Groteske die Sprache beherrscht.
Während er zu Beginn seines Schaffens noch sentimentale oder ernste Gedichte im Zeitgeist der Romantik verfasste, entwickelte er im Lauf der Jahre immer mehr seinen eigenen Stil. Oft ist bei Ringelnatz die Form des Erzählgedichtes zu finden. Zu seinen bekanntesten Werken gehört der Lyrikband mit den Balladen und Moritaten rund um die von ihm geschaffene Figur Kuttel Daddeldu. Er verwendete hier ein freies Versmaß und bewies schwarzen Humor. Ringelnatz veröffentlichte außerdem Novellen und Kinderbücher.
Ach wie schön, dass Du geboren bist!
Gratuliere uns, dass wir Dich haben,
dass wir Deines Herzens gute Gaben
oft genießen dürfen ohne List.Deine Mängel, Deine Fehler sind
gegen das gewogen harmlos klein.
Heut nach vierzig Jahren wirst Du sein
immer noch ein Geburtstagskind.Möchtest Du: nie lange traurig oder krank
sein. Und nicht Hässliches erfahren. –
Deinen Eltern sagen wir fröhlichen Dank
dafür, dass sie Dich gebaren.Gott bewinke Dir
alle Deine Schritte;
Ja, das wünschen wir,
Deine Freunde und darunter (bitte)
Ich wollte Dir was dezidieren
nein schenken; was nicht zuviel kostet.
Aber was aus Blech ist, rostet,
und die Messinggegenstände oxydieren.Und was kosten soll es eben doch.
Denn aus Mühe mach ich extra noch
Was hinzu, auch kleine Witze.
Wär bei dem, was ich besitze,
etwas Altertümliches dabei –
doch was nützt Dir eine Lanzenspitze!An dem Bierkrug sind die beiden
Löwenköpfe schon entzwei.
Und den Buddha mag ich selber leiden.
Und Du sammelst keine Schmetterlinge,
die mein Freund aus China mitgebracht.Nein – das Sofa und so große Dinge
kommen überhaupt nicht in Betracht.
Außerdem gehören sie nicht mir.
Ach, ich hab die ganze letzte Nacht
rumgegrübelt, was ich Dir
geben könnte. Schlief deshalb nur eine,
allerhöchstens zwei von sieben Stunden,
und zum Schluss hab ich doch nur dies kleine,
lumpige verschlissne Ding gefunden.Aber gern hab‘ ich für Dich gewacht.
Was ich nicht vermochte, tu Du’s: Drücke Du
nun ein Auge zu
und bedenke,
dass ich Dir fünf Stunden Wache schenke.
Lass mich auch in Zukunft nicht in Ruh.
http://gedichte.woxikon.de/autoren/joachim-ringelnatz
Unbekanntes Ringelnatz-Foto entdeckt
Historikerglück: Dieses (vermutlich) bislang unbekannte Jugendfoto von Joachim Ringelnatz (bürgerlich: Hans Bötticher) habe ich in der Fotothek des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig entdeckt! Es zeigt Ringelnatz (2. v. r.) im Sommer 1897 im Kreise seiner Familie im „Bötticher’schen Garten“. Er befand sich in der Poniatowskistr. 12, heute Gottschedstraße.
Bumerang
War einmal ein Bumerang;
War ein Weniges zu lang.
Bumerang flog ein Stück,
Aber kam nicht mehr zurück.
Publikum – noch stundenlang –
Wartete auf Bumerang.
Die Schnupftabaksdose
Es war eine Schnupftabaksdose
Die hatte Friedrich der Große
Sich selbst geschnitzelt aus Nußbaumholz.
Und darauf war sie natürlich stolz.Da kam ein Holzwurm gekrochen.
Der hatte Nußbaum gerochen
Die Dose erzählte ihm lang und breit.
Von Friedrich dem Großen und seiner Zeit.
Sie nannte den alten Fritz generös.
Da aber wurde der Holzwurm nervös
Und sagte, indem er zu bohren begann
„Was geht mich Friedrich der Große an!“
Das Hirn überragt beides.
Leider! Denn daraus entspringen so
Viele Quellen des Leidens.
Doch ginge uns plötzlich das Hirn ins Gesäß
Und die Afterpracht in die Köpfe,
Wir wären noch minder als hohles Gefäß,
Nur gestürzte, unfertige Töpfe.
Herz, Arsch und Hirn, – Ich ziehe retour
Meine kleinliche Überlegung. –
Denn dieses ganze Gedicht kommt nur
Aus einer enttäuschten Erregung.
Harry Rowohlt liest Joachim Ringelnatz
Harry Rowohlt liest einen Teil eines Werks des Schriftstellers und Kabarettisten Joachim Ringelnatz, von dem Rowohlt auch bei den Ruhrfestspielen 2013 etwas vorlesen wird.
Ringelnatz: Kuttel Daddeldu erzählt seinen Kindern das Märchen vom Rotkäppchen (Hörbuch)
Joachim Ringelnatz Lied aus einem Berliner Droschkenfenster
Aus dem Geheimen Kindespielbuch
Dazu braucht man nicht viel.
Nur ein Gänse- oder Hühnerknöchelchen.
Du, Berta, bohrst ein Löchelchen
Ins Sofa und schiebst das Knöchelchen
Weit rein, doch immer dicht unter die Sofahaut,
Daß man’s von außen wie Knorpel anfassen kann,
Was wie Geschwulst ausschaut.
Das Sofa ist dann dein Mann.
Ich bin der Doktor Frank.
Du sagst: „Mein Mann ist so krank.“
Ich fühle und sage mit ernster Miene:
„Er hat einen Splitter im Herzen sitzen,“
Und nehme das Ölkännchen von eurer Nähmaschine,
[13] Um erstmal Betäubung in das Geschwür einzuspritzen.
Nun kommt die Operation; das ist das Schwere.
Ich nehme ein Messer und eine Schere.
Du nimmst ein Handtuch und fürchtest dich, zuzusehn;
Darum drückst du die Augen zu.
Ich tu einen scharfen Schnitt, greife dann
— daß muß wie der Blitz geschehn —
Mit der Zange (das ist die Schere) im Nu
Den Knochen aus deinem Mann.
Weil, wenn ich ihn nicht beim ersten Male geschickt
Gleich rausbekomme, — ist die Operation mißglückt.
— — — —
Das nächste Mal bist du Doktor Frank,
Und mein Mann ist krank.
— — — —
Angst darfst du nicht haben. Denn meine und deine
Eltern können uns — — — Weißt du, was ich meine?!?
Wenn ich zwei Vöglein wär,
Und auch vier Flügel hätt,
Flög die eine Hälfte zu dir.
Und die andere, die ging auch zu Bett,
Aber hier zu Haus bei mir.
Wenn ich einen Flügel hätt
Und gar kein Vöglein wär,
Verkaufte ich ihn dir
Und kaufte mir dafür ein Klavier.
Wenn ich kein Flügel wär
(Linker Flügel beim Militär)
[27] Und auch keinen Vogel hätt,
Flög ich zu dir.
Da’s aber nicht kann sein,
Bleib’ ich im eignen Bett
Allein zu zwei’n.
Du kannst doch schweigen? Du bist doch kein Kind
Mehr! — Die Lederbände im Bücherspind
Haben, wenn du die umgeschlagenen Deckel hältst
Hinten eine kleine Höhlung im Rücken.
Dort hinein mußt du weichen Käse drücken.
Außerdem kannst du Käsepropfen
Tief zwischen die Sofapolster stopfen.
— — — —
Lasse ruhig eine Woche verstreichen.
Dann mußt du immer traurig herumschleichen.
Bis die Eltern nach der Ursache fragen.
Dann tu erst, als wolltest du ausweichen,
Und zuletzt mußt du so stammeln und sagen:
[23] „Ich weiß nicht, — ich rieche überall Leichen —.“
— — — —
Deine Eltern werden furchtbar erschrecken
Und überall rumschnüffeln nach Leichengestank,
Und dich mit Schokolade ins Bett stecken.
Und zum Arzt sage dann: „Ich bin seelenkrank.“
— — — —
Nur laß dich ja nicht zum Lachen verleiten.
Deine Eltern — wie Eltern so sind —
Werden bald überall verbreiten:
Du wärst so ein merkwürdiges, interessantes Kind.