Schäubles Spiel und Griechenlands Veto bei der Eurogruppe

Schäubles Spiel bei der Konferenz der Eurogruppe und das griechische Veto gegen ein angeblich gemeinsames Kommuniqué, das es niemals gab.

Im Nachhall der Konferenz der Eurogruppe am 11 Februar 2015, die mit einer Havarie des geplanten gemeinsamen Kommuniqués endete, bestätigt die griechische Seite, das Thema sei an der Phrase “Verlängerung oder erfolgreiche Vollendung des gegenwärtigen Programms” hängen geblieben.

Regierungsquellen berichten von einem Klima der Zuversicht, da – wie sie äußern – die Gespräche weitergehen, die Kommunikation der Amtsträger und Faktoren der europäischen Seite mit Griechenland kontinuierlich und schnell sei, damit der Boden – auf technischer Ebene – für die nächste Eurogruppe am kommenden Montag (16 Februar 2015) vorbereitet wird.

Offizielles Treffen Merkel – Tsipras steht weiterhin aus

Wie aus griechischen Regierungsquellen verlautet, werde die Kommunikation nach der vorgestrigen Sitzung nicht bis zur kommenden unterbrochen, sondern geht zur Erzielung des bestmöglichen Resultats weiter. Dies wird als positiv gewertet, da es die Bemühung beider Seiten reflektiert, das Thema der Formulierungen zu lösen, die laut der griechischen Seite auch ein Thema der Essenz sind, da – wie sie betonen – “sich aus den Formulierungen konkrete Verpflichtungen ableiten“.

Die Regierung erwartete jedenfalls gewisse positive Zeichen bei der gestrigen Konferenz, wo der Rahmen mehr politisch und nicht technisch / wirtschaftlich ist – wenn auch das Thema Griechenlands nicht zentral war (auf der Tagesordnung befanden sich Themen der Ukraine und des Terrorismus / der Sicherheit, während es auch das Thema gab, das sich auf die Intervention der Eurozone bezieht, wobei eine Bezugnahme auf Griechenland erfolgen kann).

Offiziell ist jedenfalls von keiner Seite eine Begegnung Merkel – Tsipras erörtert worden, jedoch wird mit Interesse das tête-á-tête der beiden Staatschefs am Rand der Konferenz erwartet. Ebenfalls wird erwartet, dass es eine kurze politische Stellungnahme des griechischen Premierministers Alexis Tsipras vor den übrigen Staatschefs geben wird.

Das Kommunique, Schäuble und Varoufakis’ Telefonat an Tsipras

Was das Klima innerhalb der Konferenz betrifft, berichten Regierungskreise, es sei in Art und Stil der Stellungsnahmen in der Tat gemäßigt und auf keinen Fall jähzornig oder streng gewesen. Was zusätzlich auch das Thema mit dem gemeinsamen Kommunique betrifft, das nach der Ablehnung des Begriffs “Verlängerung des gegenwärtigen Programms” von Seite Griechenlands schließlich nicht erging, bestätigen Mitarbeiter des Premierministers, dass es bei den kursierenden Entwürfen auch Texte gab, die einen größeren Versuch unternahmen, die Entfernung zu Griechenland zu überbrücken und z. B. von “Ausweitung und Modifizierung” sprachen. Wolfgang Schäuble lehnte jedoch den einschlägigen Text ab, der eine für Griechenland freundlichere Diskussionsbasis darstellte.

Die selben Quellen dementieren, die Repräsentanten Griechenlands in der Konferenz (Varoufakis, Dragasakis) hätten anfänglich die Formulierungen im Kommuniqué akzeptiert, dessen Inhalt die Finacial Times enthüllte. Wie sie sagen, telefonierte Finanzminister Yanis Varoufakis mit Premierminister Alexis Tsipras und berichtete ihm, es gebe problematische Punkte, die Griechenland nicht akzeptieren könne, und informierte ihn detailliert, woraufhin der Premierminister zustimmte und das finale OK für die Ablehnung des Textes gab.

Jedenfalls wird angenommen, es habe Züge gegeben, damit vollendete Tatsachen hauptsächlich von Seite Deutschlands geschaffen werden. Bezeichnend ist, dass – einschlägige Verlautbarungen in der internationalen Presse kommentierend, die berichten, nach Schäubles Aufbruch habe die griechische Seite auf die gesellschaftliche Krise bezogene Themen gestellt – Regierungsfaktoren betonen, “Griechenland hat keinerlei Thema nach dem Aufbruch irgendjemandes erhoben; von jemand aufstand und wegging um vollendete Tatsachen zu schaffen, sind nicht wir dafür verantwortlich“.

Der griechische Vorschlag

Die griechische Seite präsentierte in der Eurogruppe den griechischen Vorschlag, so wie er uns seit Tagen bekannt ist, in dem in seinem politischen Zweig die Rede ergeht von:

  • einer neuen Übergangsvereinbarung, die eine Brücke zwischen der beendeten alten Situation und dem Mittelfristigen Rahmenprogramm 2015 – 2018 schlägt;
  • Rationalisierung des fiskalischen Rahmens, was bedeutet, dass Griechenland verlangt, die Zielvorgabe für den Primärüberschuss soll für 2015 und 2016 auf dem vorherigen Niveau bleiben (1,49%);
  • einem nationalen Reformplan; hier verweisen die Regierungsquellen auf die Begegnung des Premierministers mit OECD-Generalsekretär Angel Gurria und betonen, in der Eurogruppe habe es gemeinsame Bezugspunkte mit anderen Ländern hinsichtlich des Steuersystems, des Vermögensregisters und des Grundbuchs, der Geschwindigkeit der Rechtsprechung, der Lizenzierung der Rundfunk- und Fernsehsender gegeben.
  • der Linderung der humanitären Krise.

In dem Zweig der Finanzierung umfasste der Vorschlag folgende Punkte:

  • Ablehnung der Tranche der 7,2 Mrd. Euro des ESM mit der Überlegung, Griechenland wolle nicht, dass die europäischen Steuerzahler für ein Programm zahlen, das sich als ineffektiv erwies.
  • Auszahlung der 1,9 Mrd. Euro, welche die EZB aus den Buchgewinnen der griechischen Anleihen zurückhält.
  • Anhebung der Emissionsgrenze für Schatzbriefe um 10 Mrd. Euro.
  • Verwertung der 11,4 Mrd. Euro der FSF für die Sanierung des Banksystems und die Bewältigung des Themas der “roten” Kredite.

In Bezug darauf, ob von dem griechischen Finanzminister konkrete Fakten und Zahlen präsentiert wurden, welche die griechischen Positionen dokumentieren, merkten Mitarbeiter des Premierministers an, es sei ein Bild gegeben worden, ohne jedoch bestätigen zu können, ob dieses vollständig oder einfach nur eine Umreissung war.

(Quelle: To Pontiki, Autorin: Maria Mitsopoulou)

http://www.griechenland-blog.gr/

EU: keine Rechts-, sondern Zahlgemeinschaft

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Die EU und der Euro-Club sind eben keine Rechtsgemeinschaft, sondern eine Willkürherrschaft. Doch in der Willkürherrschaft ist der Einzelne nur Spielball im Spiel der Mächtigen. Und das Eigentum der Sparer ist die Verfügungsmasse auf dem Spielfeld.

Es sind spannende Tage der Diplomatie im Euro-Europa. Keine Nachrichtensendung vergeht, in der nicht die neuesten Nachrichten aus Griechenland präsentiert werden. Wie in der Antike scheint Griechenland der Mittelpunkt der Welt zu sein. Der neue Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis sind die neuen Stars. Letzterer fällt dadurch auf, dass er mit dem Motorrad ins Ministerium fährt, das Hemd über der Hose trägt und mit Lederjacke zu Staatsbesuchen erscheint. Das ist cool und freut die Alt-68er in nah und fern. Endlich zeigt es denen mal einer.

Der Plan von Varoufakis ist es, in den nächsten Wochen Zeit zu gewinnen. Der Plan der EU-Kommission, der EZB und des Euro-Clubs ist es, den Druck auf Griechenland zu erhöhen. Es ist ein Klassiker der Spieletheorie. Beatrice Weder di Mauro hatte dies neben mir sitzend in der Sendung „Maybrit Illner“ als „Chicken Game“ bezeichnet. Wenigstens in dieser Frage hatte die Ökonomin recht. Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Inzwischen ist das Spiel bereits aus – Varoufakis, Tsipras und Griechenland haben gewonnen.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bot Tsipras bereits ein auf vier Jahre angelegtes „Brückenabkommen“ an. Selbst weitere Krediterleichterungen wurden auf dem Präsentierteller angeboten. Bei dem einen oder anderen, der das boulevardesk aussprach, kam bei mir sogar ein Fremdschämen auf. Sehr wahrscheinlich ist, dass die Troika aus EZB, EU und IWF ihre Arbeit ebenfalls nicht mehr aufnehmen wird. Der Grund ist, dass die Kredite des IWF eh bald auslaufen und er sich seit längerem zurückziehen will. Die Übernahme der IWF-Kredite durch den Euro-Club ist längst vereinbart.

Die Troika-Beteiligung des IWF ist in den Verträgen daher auch nur als „Soll-Regelung“ festgeschrieben. Und der Rückzug der EZB aus der Troika zeichnet sich ebenfalls mit dem zu erwartenden Urteil des Europäischen Gerichtshofes ab. Erst vor wenigen Tagen hat der Generalanwalt am EuGH in seinem Gutachten zur Zulässigkeit von unbegrenzten Staatsanleihenkäufen durch die EZB, den Rückzug der EZB aus der Troika faktisch gefordert. Am Ende bleibt dann nur noch die EU-Kommission übrig. Dann unterscheidet sich die Überwachung des griechischen Reformplanes nicht mehr wesentlich von den übrigen Kontrollaufgaben, die im Zuge des europäischen Semesters für alle EU-Staaten eingeführt wurden.

Schon legt Varoufakis nach. Griechenland und der Süden Europas bräuchten einen New Deal, um Arbeitsplätze zu schaffen. New Deal steht dabei für öffentliche Konjunkturprogramme auf Pump und mehr staatliche Einflussnahme auf die Wirtschaftsabläufe. Die Absage an Privatisierungen, die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes und die Abkehr vom Ziel der Haushaltsüberschüsse dokumentieren den Kurs der neuen griechischen Regierung. Gerade diese Interventionen haben schon in Amerika der 1930er Jahre, als der New Deal unter Präsident Franklin D. Roosevelt eingeführt wurde, die Erholung der amerikanischen Wirtschaft nicht erreicht, sondern hinausgezögert und damit verhindert.

Der amerikanische Ökonom Murray Rothbard untersuchte dies eindrucksvoll in seinem Buch: „America’s Great Depression“. Es war die Intervention in den Arbeitsmarkt, der eine Anpassung der Reallöhne verhinderte und damit Massenarbeitslosigkeit schuf. Und es war die Marktabschottung gegenüber ausländischer Konkurrenz, die den schnellen Wiederaufstieg der amerikanischen Wirtschaft nach dem Platzen der Kreditblase 1929 in den Folgejahren verhinderte. Letztlich „rettete“ sich Amerika ökonomisch durch den Eintritt in den 2. Weltkrieg und beseitigte so die Massenarbeitslosigkeit. Sicherlich keine anzustrebende Wirtschaftspolitik.

Doch so weit muss man gar nicht zurückblicken, um festzustellen, dass ein New Deal das Gegenteil erreicht, was die Linken sich dadurch versprechen. Staatliche Subventionen sind in Milliardenhöhe bereits geflossen. Seit dem Beitritt der Hellenen zur Europäischen Gemeinschaft 1981 flossen bis zum Ausbruch der Krise 133 Milliarden Euro nach Griechenland. Nach Spanien sogar 157,5 Milliarden, nach Portugal 72 und nach Irland 67,5 Milliarden Euro. Und was hat der europäische „New Deal“ gebracht? Nichts wäre zu schön gewesen. Er hat die Basis der heutigen Überschuldung gelegt.

Bis Varoufakis dies mit dem Euro-Club verhandelt hat, dauert es noch einige Monate. Bis dahin wird ihn die EZB über Wasser halten. Den wesentlichen Schritt dazu hat sie schon geleistet, indem sie ihren Beschluss aufhob, die als Schrottpapiere klassifizierten griechischen Staatsanleihen weiterhin als Sicherheiten zu akzeptieren. Das bedeutet, die griechischen Banken haben damit faktisch keinen Zugang mehr zu Zentralbankgeld der EZB.

Damit bewahrt Mario Draghi sein Gesicht, eröffnet aber den griechischen Banken einen direkten Zugang zu sogenannten Ela-Kredite der griechischen Notenbank. Diese kann sie derzeit bis zu 60 Milliarden Euro auf „eigene Rechnung“ vergeben. In der Hochphase der Krise 2012 betrugen die Kredite über 120 Milliarden Euro. Inzwischen sind sie wieder fast auf Null reduziert. Das verschafft der griechischen Regierung Luft. Sie hat in der Vergangenheit bereits kurzlaufende Anleihen, so genannte T-Bills, herausgegeben. Diese können die heimischen Banken aufkaufen, als Sicherheiten bei der eigenen Notenbank einreichen und erhalten damit frisches Geld aus dem „Keller“ der griechischen Notenbank. Die Staatsfinanzierung durch die Druckerpresse ist perfekt.

Es ist ganz klar, was hier passiert: Die Weichmacher haben den Euro-Club übernommen. Es wird die zigfache Nachbesserung für Griechenland geben, die EZB wird die griechische Notenbank gewähren lassen, um den Schein eines stabilen Euros zu wahren und das Krönungsprojekt der EU nicht zu gefährden. Doch es wird Anreize für andere Krisenstaaten in Europa setzen, ebenfalls die Regeln zu lockern. Wer kümmert sich heute noch um den Fiskalpakt, also die Schuldenbremse, die die Teilnehmerländer des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM in ihre Verfassung schreiben sollten? Dabei sollten doch die Regeln 2012 endlich verschärft werden, damit so eine Krise nie wieder passiert. Mein ehemaliger Kollege und Mitstreiter Klaus-Peter Willsch hat mir vor einigen Tagen erzählt, dass Griechenland den Fiskalpakt bislang nicht einmal in die eigene Verfassung aufgenommen hat.

Die EU und der Euro-Club sind eben keine Rechtsgemeinschaft, sondern eine Willkürherrschaft. Doch in der Willkürherrschaft ist der Einzelne nur Spielball im Spiel der Mächtigen. Und das Eigentum der Sparer ist die Verfügungsmasse auf dem Spielfeld. Doch trotz permanenter Verlängerung werden längst keine Tore mehr geschossen, sondern immer mehr Verletzte vom Platz getragen und am Seitenaus behandelt. Bis keine Spieler mehr da sind, erst dann ist das Match zu Ende.

Quelle: MMnews vom 11.02.2015

http://www.pravda-tv.com/

Alexis Tsipras hat mit Präsident Putin telefoniert

Donnerstag, 5. Februar 2015 , von Freeman um 15:00

Wie am Donnerstag bekannt wurde, hat der neue griechische Premierminister Alexis Tsipras mit Russlands Präsident Wladimir Putin gesprochen. Eine Verlautbarung der russischen Regierung bestätigte, das Telefongespräch fand am Donnerstag statt. Dabei hat Putin dem griechischen Regierungschef zu seinem Amt gratuliert und zu einem Besuch nach Moskau eingeladen. Tsipras hat die Einladung angenommen. Hauptthemen des Gesprächs waren die Krise in der Ukraine und die Gaslieferung nach Europa über South Stream und Turkish Stream.

Interessant ist, beide Staaten verlangen von Deutschland die Bezahlung von Reparationen wegen der deutschen Besatzung während des II. Weltkrieg. Beide, Russland und Griechenland, haben bisher keinen Cent für die Kriegsschäden erhalten. Wissen die Deutschen das überhaupt?Die erste Amtshandlung die Tsipras nach seiner Vereidigung vorgenommen hat, war der Besuch der Gedenkstätte am Schiessstand von Kesarianiin und er legte Blumen nieder. Von den deutschen Besatzern wurde das Gelände für die Erschiessungen von griechischen Widerstandskämpfern benutzt. 1942 wurden 13 Menschen erschossen, 1943 waren es 147 und 1944 weitere 440. Laut Studien, welche die vorherige griechischen Regierungen vorgenommen haben, schuldet Deutschland den Griechen mindestens 200 Milliarden Euro für Schäden durch die Besatzung, für den Wiederaufbau und für Kredite, die Griechenland gezwungen wurde an das III. Reich zu zahlen.Mit diesem Betrag wäre ein Grossteil der Schulden Griechenlands gedeckt. Wie kann Schäuble und Merkel knall hart die Einhaltung der Rückzahlung der Schulden verlangen, aber selber die Schuld die Berlin gegenüber Athen aus dem II. Weltkrieg hat nicht honorieren? Wenn ich Tsipras wäre, würde ich die Summen miteinander verrechnen, Merkel und Schäuble deutlich sagen „haltet den Mund„, und der Fall wäre erledigt.

Am Montag hat die LDPR-Fraktion im russischen Parlament eine Initiative eingereicht, um Reparationszahlungen von Deutschland für den Angriff auf die UDSSR zu bekommen. „Tatsache ist, Deutschland hat gar keine Reparationen an die Sowjetunion für die Zerstörung und Verbrechen, welche während des Grossen Vaterländischen Krieg begangen wurden, bezahlt. Es gab eine Vereinbarung mit der DDR nach dem Krieg, keine Reparationen zu verlangen. Aber es gab nie so eine Vereinbarung mit der BRD, geschweige denn mit dem vereinigten Deutschland, und deshalb ist diese Frage noch offen,“ sagte Mikhail Degtyarev von der Liberalen Demokratischen Partei Russlands.

Die Sowjetunion bzw. Russland war das grösste Opfer der Massenverbrechen an der Zivilbevölkerung durch Hitlers Kriegsmaschinerie. Es starben dabei zwischen 24 und 40 Millionen Bewohner der Sowjetunion. Dieser Krieg gilt wegen seiner verbrecherischen Ziele, Kriegführung und Ergebnisse allgemein als der „ungeheuerlichste Eroberungs-, Versklavungs- und Vernichtungskrieg, den die moderne Geschichte kennt“, laut dem deutschen Historiker Ernst Nolte. Umgerechnet auf heutige Preise beläuft sich der Betrag den Deutschland an Russland als Nachfolger der UDSSR zahlen muss auf mindestens drei bis vier Billionen Euro!!!.

Degtyarev wies darauf hin, andererseits hat Deutschland Länder kompensiert, die gar nicht am II. Weltkrieg beteiligt waren. So hat Israel, zum Beispiel, mehr als 60 Milliarden Euros bisher erhalten, sagte der Parlamentarier. Sein Kollege von der Partei Vereinigtes Russland und Mitglied des Verteidigungsausschusses, Timur Akulov, meint: „Die Forderung ist berechtigt.“ Nach seiner Meinung muss Deutschland sogar mehr bezahlen, für den Abzug der sowjetischen Truppen aus Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung auch. „Wir haben so viel Besitz zurückgelassen und so viele Gebäude, als die sowjetischen Truppen die DDR verlassen haben. Deutschland hat auch dafür nichts bezahlt„, sagte Akulov.

Warum taucht das Thema Reparationen in beiden Ländern jetzt auf? Weil die deutsche Bundesregierung massgeblich an der Krise in Griechenland und in Russland verantwortlich ist. Wer beharrt denn auf die brutalen Sparmassnahmen gegen die griechische Bevölkerung? Wer hat die härtesten Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt, unter denen die russische Bevölkerung am meisten leidet? Merkel pilgert wohl dauernd nach Israel, vergiesst dort Krokodilstränen und verteilt Geschenk noch und noch. Aber was das vergangene Leid betrifft und auch das jetzige, das gegenüber der griechischen und russischen Bevölkerung angerichtet wurde, bzw. wird, da zeigt sie keine Spur von Verständnis, Reue oder Wiedergutmachung.

Alles Schall und Rauch: Alexis Tsipras hat mit Präsident Putin telefoniert http://alles-schallundrauch.blogspot.com/2015/02/alexis-tsipras-hat-mit-prasident-putin.html#ixzz3RKtI82wW

Der große Knall: Tsipras präsentiert Merkel die Rechnung für die Banken-Rettung

Griechenland könne die EU nicht mehr erpressen, behauptet Wolfgang Schäuble. Doch er weiß, dass das nicht stimmt: Alexis Tsipras hat der EU die Rechnung für die Banken-Rettung auf den Tisch geknallt. Er geht dabei überlegt vor und hat längst eine Allianz mit mächtigen Verbündeten geschmiedet. Alle Blicke richten sich nun auf die europäischen Steuerzahler. Die trunkene Runde in Berlin hört den Kellner rufen: „Sperrstunde!“ Angela Merkel blickt mürrisch zur Seite und hofft, dass das alles nur ein böser Traum ist.

Angela Merkel, Martin Schulz und Francois Hollande: Wer übernimmt die Rechnung für die Banken-Rettung in Europa? (Foto: dpa)

In an Einfalt grenzender Einmütigkeit haben die europäischen Regierungschefs und die EU-Funktionäre in der Griechenland-Krise unisono dasselbe gesagt: Griechenland müsse sich an die Vereinbarungen halten. Es werde keinen Schuldenschnitt geben. Die EU befinde sich auf gutem Wege und sei nicht mehr, wie noch vor der Finanzkrise, erpressbar.

Vor allem der dritte Einwand ist nichts anderes als das berühmte Pfeifen im Walde. Er ist für Schäuble und seine Kollegen besonders gefährlich, weil alle wissen: Im Hinblick auf Griechenland brauchen die Euro-Staaten in der Tat nicht mehr zu fürchten, wie noch 2011 von den Banken erpresst zu werden: Die EU hat nämlich das Lösegeld bereits komplett bezahlt. Die internationalen Banken sind aus Griechenland so gut wie vollständig draußen. MarketWatch hat den Vorgang minutiös analysiert.

Der Think Tank Open Europe hat eine Grafik erstellt, die zeigt: Das Risiko ist über die EZB voll bei den europäischen Steuerzahlern und über den IWF zu einem geringeren Teil bei den amerikanischen Steuerzahlern.

Eric Dor von der Katholischen Universität Lyon hat die Zahlen im Januar 2015 penibel heruntergebrochen: 72 Milliarden Euro kommen auf die Deutschen zu, 48 Milliarden auf Italien, 55 Milliarden auf Frankreich.

Eine griechische Staatspleite ist für die deutschen Banken kein Problem. (Grafik: Eric Dor)

Dor hat zugleich ermittelt, wie hoch das Risiko für die Banken ist. Die Zahlen sind frappierend: Die deutschen und die französischen Banken sind draußen. Von ursprünglich jeweils 15 Milliarden Dollar ist so gut wie nichts mehr geblieben: Die deutschen Banken haben nur noch 181 Millionen Dollar beim griechischen Staat im Feuer, die französischen nur noch 102 Millionen Dollar. Etwas unangenehmer sind die Forderungen gegen den Privatsektor und bei Derivaten, doch auch hier geht es um höchstens 5 Milliarden für die französischen Banken und etwa 15 Milliarden Dollar für die deutschen Banken.

Der griechische Finanzminister Yaris Varoufakis hatte am Wahlabend in einem Interview auf CNBC gesagt, er wolle bei den Europäern nicht neue Schulden aufnehmen, weil er wisse, dass er diese nicht zurückzahlen könne. Bei einem solchen Ansinnen könnte er „den Europäern nicht mehr in die Augen schauen“.

Dem völlig irritierten Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem sagte Varoufakis am Freitag öffentlich, dass Griechenland nicht mehr mit der Troika zusammenarbeiten werde. Man habe den Wählern versprochen, die von der Troika aus IWF, EZB und EU verordneten Austeritätsprogramme nicht zu verhandeln, also auch nicht zu verlängern. Man wolle allerdings mit den legitimen Vertretungen der EU und dem IWF konstruktiv an einer Lösung arbeiten.

Welche Taktik steckt hinter den unerhörten Worten? Ist das finanzpolitisches Harakiri oder eiskaltes Kalkül?

Die Syriza-Regierung wurde nach dem ganz und gar nicht überraschenden Wahlsieg vor allem in der deutschen Öffentlichkeit massiv attackiert: Die FAZ schrieb von einer „Machtübernahme“, die Welt titelte „So judenfeindlich sind Tsipras und seine Leute“, die Bild fragte den EU-Präsidenten „Hauen Sie Tsipras auf die Finger, Herr Schulz?“.

Auch für die französischen Banken ist der Grexit kein Thema. (Grafik: Eric Dor)

Doch gerade der Besuch von Martin Schulz in Athen zeigt, dass Tsipras kein Desperado ist, sondern offenbar im Hintergrund längst begonnen hat, Allianzen zu schmieden: Schulz sagte, er habe in seiner politischen Tätigkeit noch nie ein derart interessantes und anregendes Gespräch geführt als jenes mit dem neuen griechischen Premier. Die griechische Wirtschaftswebsite Sofokleus wusste bereits Mitte Januar zu berichten, dass die Wirtschaftsexperten der Partei im September von Jörg Asmussen in das Bundesarbeitsministerium nach Berlin eingeladen worden waren, um deutschen Regierungs-Beamten die „Hingabe der Syriza an die europäische Orientierung“ zu demonstrieren, wie der Griechenland-Blog übersetzt. Asmussen soll demnach in regelmäßigem Austausch mit Tsipras stehen, auch Sigmar Gabriel soll den Kontakt mit der griechischen Linkspartei halten.

Der Kontakt zu Asmussen rührt offenbar noch aus der Zeit der ersten Euro-Krise. Als man in Berlin noch ernsthaft den Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone in Erwägung zog, traf sich Asmussen mit Syriza mit dem damaligen Premier Angelos Venizelos und Wolfgang Schäuble in Polen. Offenbar dämmerte Asmussen damals schon, dass Venizelos keine große Zukunft haben werde. Die Pasok – die Schwesterpartei der SPD – stürzte von 44 Prozent der Stimmen im Jahr 2009 auf 4 Prozent in diesem Jahr ab. Asmussen agierte damals offiziell im Auftrag seines Chefs Mario Draghi. Und zu dem hält, wenn man Sofokleus Glauben schenken darf, Tsipras fortan Kontakt. Tsipras soll mit Draghis Leuten über einen „neuen europäischen Deal“ gesprochen haben, bei dem die EZB und die Europäische Investitionsbank ein europaweites „Konjunkturpaket“ aus Steuergeldern zur Verfügung stellen sollte.

Die Vernetzung von Tsipras zeigt, dass der griechische Premier mitnichten ein heimlicher Agent von Wladimir Putin ist, wie ihm nach dem ungeschickten oder intriganten Faux-Pas von Donald Tusk im Zusammenhang mit den Russland-Sanktionen unterstellt wurde. Die Anel-Partei, deren Chef vor einiger Zeit mit einer ekelhaften antisemitischen Aussage aus der Nia Demokratia entfernt wurde, hat sich Tsipras als Partner geholt, weil sie ihm am wenigsten Scherereien machen kann – solange es um die Umschuldung geht. Danach ist es durchaus denkbar, dass Tsipras die Anel fallenlässt und sich einen anderen Partner holt.

Die Umschuldung ist für die Griechen unabdingbar. Denn solange die Schulden bedient werden müssen, kann die griechische Regierung neue Kredite nicht für die Wirtschaft oder für Sozialleistungen verwenden. Im ewigen Schneeball-System des Schulden-Zirkus müssen zuerst die offiziellen Gläubiger bedient werden – also die EZB und der IWF. Daher ist auch die Streckung der Schulden keine wirklich Lösung: Sie mildert das Problem, beseitigt es aber nicht.

Griechenland aber muss die hohe Arbeitslosigkeit, die Armut und die katastrophale soziale Lage in den Griff bekommen. Das wird in der ersten Phase nur mit direkten Zahlungen funktionieren. Varoufakis hatte im Wahlkampf etwa vorgeschlagen, den Obdachlosen eine Debit-Karte nach US-Vorbild zur Verfügung zu stellen, damit sie sich im Supermarkt Lebensmittel und das Nötigste kaufen können, ohne sich schämen zu müssen, wie Imerisia berichtet (Deutsch hier).  Ob die Wirtschaft in Griechenland wirklich mit Krediten in Schwung zu bringen ist, ist eine andere Frage. Aber sie ist fast schon Luxus angesichts des elementaren Elends, mit dem sich viele Griechen konfrontiert sehen.

Bezahlen müssen die Banken-Rettung die europäischen Steuerzahler. (Grafik: Open Europe)

Die Kampagne, mit der nun die mit Angela Merkel verbündeten Medien fordern, man habe „den Griechen“ schon genug gegeben, „die Griechen“ sollten doch sehen, wie sie ohne die „Rettungsprogramme“ und „Hilfszahlungen“ zurechtkommen, ist angesichts der tatsächlichen Verhältnisse in Griechenland nichts anderes als Schlachtgetöse, das vom eigentlichen Problem ablenkt: Die Griechen wurden nie gerettet. Sie mögen zwar von der Kredit-Orgie profitiert haben. Viele Kredite gingen jedoch an die Oligarchen – sie wurden gerettet. Das Risiko für die Kredite haben ursprünglich die Banken getragen. Sie hätten daher auch die Verluste realisieren müssen. Doch das Gegenteil trat ein: Wie die Zahlen zeigen, wurden die Banken gerettet, und die Griechen sollen nun die Schulden abarbeiten.

Tsipras muss das Problem in Griechenland lösen. Er wurde demokratisch gewählt, weil er die Befreiung aus der Schulden-Falle versprochen hatte. Dies war nicht ein Punkt unter vielen im Syriza-Programm, es war der einzige und wichtigste Punkt. Um ihn zu erfüllen, hat sich Tsipras offenbar mit den linken Parteien im EU-Parlament, die schon lange gegen die Troika wettern, verbündet. Anders ist das Saulus-Erlebnis von Martin Schulz nicht zu erklären. Auch die EZB hat ein Interesse an dieser Lösung, weil das Konzept Draghis im Kern ebenfalls aus einerpaneuropäischen Umverteilung der Steuergelder besteht. Die sozialdemokratischen Parteien wiederum haben das Schicksal des Venizelos-Absturzes vor Augen und werden alles tun, um bei den anstehenden Wahlen nicht wie der Pasok-Chef ins Bodenlose zu stürzen.

Daher reist Tsipras auch nach Italien zu Matteo Renzi, der der stärkste Widersacher Angela Merkels in der EU ist, und zu Francois Hollande, dem das Wasser bis zum Hals steht. Auch in London wird Tsipras Gehör finden: Erst diese Woche hat der ehemalige Goldman-Banker und jetzige Chef der Bank of England, Mark Carney, laut Guardian eine Abkehr von der deutschen Politik des kontrollierbaren Defizite in der EU gefordert und zu mehr Schulden eingeladen, um die Wirtschaft in Gang zu bringen. Ein Besuch bei Angela Merkel steht nicht auf dem Programm von Tsipras.

Eine solche Visite ist auch nicht nötig. Denn Merkel und Schäuble haben keinen Hebel, den Schuldenschnitt zu verhindern: Sie sind von zwei Seiten eingekeilt. Die extremen linken und rechten Parteien in Europa profitieren von der verheerenden Wirtschaftslage in den meisten Euro-Staaten. Bleibt die EU weiter auf Troika-Kurs, werden andere Staaten dem griechischen Beispiel folgen. Verlässt die EU den Troika-Kurs, werden die anderen Staaten ebenfalls dem griechischen Beispiel folgen: Bulgarien etwa hat bereits sein Interesse an Schulden-Erleichterungen angemeldet, weil die bulgarische Bevölkerung tatsächlich noch viel schlechter dran ist als die Griechen, wie Kathimerini analysiert hat.

Zugleich hat die EZB über den Ankauf der Staatsanleihen still und leise die Rolle des europäischen Staatsfinanzierers übernommen. Sie kann entscheiden, ob der Euro weiterbesteht oder nicht. Sie kann mit zusätzlichen Institutionen kooperieren, wie der Europäischen Investitionsbank oder dem IWF. Und sie hat Vehikel wie den ESM, mit dem sie Gelder verteilen kann, ohne dass Merkel oder Schäuble Einspruch erheben können. Die Steuerzahler sind von diesen Vorgängen ohnehin komplett ausgeschlossen.

Es ist gut denkbar, dass die Bundeskanzlerin und ihr ebenfalls dem Zentralismus anhängender Finanzminister auch gar nicht wirklich widersprechen wollen: Denn wenn Griechenland in die Staatspleite rutscht, sind die Deutschen mit einem Schlag um 72 Milliarden Euro, ärmer. Der Preis für Italien läge bei 48 Milliarden Euro, Frankreich würde 55 Milliarden Euro verlieren. Das ist nicht darstellbar.

Daher spekuliert Tsipras darauf, die Kosten der Banken-Rettung in Europa in einer, wie er es nennt, „Schuldenkonferenz“ neu zu verteilen. Man braucht nicht allzu viel Fantasie, wen dann die Hauptlast treffen wird. Sind die Schulden erst einmal bei den reichen Nord-Staaten abgeladen, können frische EU-Kredite für die Wirtschaft in Griechenland und den anderen Krisenstaaten verwendet werden. Aus Tsipras’ Sicht ist das eine zwingende Logik – und seine Aufgabe als Vertreter des griechischen Volkes.

Ob daraus dann „blühende Landschaften“ entstehen, ist eine ganz andere Frage, gegen deren positive Beantwortung die Erfahrung spricht, dass Politiker in der Regel keine Arbeitsplätze schaffen, sondern Netzwerke bedienen. Doch diese Frage stellt sich gar nicht. Bisher haben die EU-Politiker die Rechnung für die Banken-Rettung in den komplexen Target 2-Salden geschickt versteckt. Tsipras hat sie aus der Schublade geholt und auf den Tisch geknallt. Er wurde gewählt, weil er den Griechen gesagt hatte, dass sie keine andere Wahl als die Konfrontation haben. Das Problem Merkels: Sie hat keine Fantasie und ist selbst eine Marionette ihrer eigenen Alternativlosigkeit geworden. Nun muss sie – und mit ihr die Deutschen – nach der Pfeife anderer tanzen. Tsipras ist nicht der Feind der Deutschen. Er ist der Kellner, der die trunkene Runde auflöst mit dem unsanften Ruf: „Sperrstunde!“

http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/

Ein Ökonom rechnet ab „Wenn die EU Tsipras dämonisiert, fliegt uns der Euro um die Ohren“

Der Hamburger Ökonom Reinhard Crusius findet für die aktuelle Debatte um Griechenland und die neue Regierung drastische Worte: Selten habe er „einen politischen Prozess von solcher Tragweite mit einem solchen Ausmaß an Unwissenheit, Dummheit, ideologischer Verblendung, Zynismus, ja Lügenhaftigkeit kommentiert erlebt“ wie die Diskussion um die Lage in Griechenland. Doch Crusius sieht in der Entwicklung eine letzte Chance für Europa: Dass nämlich eine soziale Wirtschaftspolitik in der Euro-Zone erzwungen wird durch das demokratische Votum eines einzelnen, kleinen Volkes.

Die demokratische Wahl von Alexis Tsipras zum Premier Griechenlands sieht der Ökonom Reinhard Crusius als Chance, dass die Euro-Zone zu einer sozialen Wirtschaftspolitik gezwungen wird. Sonst hat sie keine Zukunft mehr. (Foto: dpa)

Die demokratische Wahl von Alexis Tsipras zum Premier Griechenlands sieht der Ökonom Reinhard Crusius als Chance, dass die Euro-Zone zu einer sozialen Wirtschaftspolitik gezwungen wird. Sonst hat sie keine Zukunft mehr. (Foto: dpa)

Mit seiner Meldung in den ersten Januartagen (Heft 2/2015), dass Merkel und Schäuble sich inzwischen ein Ausscheiden Griechenlands („Grexit“) aus dem Euro vorstellen können, da dieses Problem ja inzwischen „verkraftbar“ sei, hat der Spiegel eine Debatte losgetreten, die längst überfällig war. Ich meine aber nicht eine Debatte darüber, ob Griechenland aus dem Euro herausgedrängt werden sollte, sondern eine Debatte darüber, was mit der jetzt seit fünf Jahren laufenden Euro-Politik der Kanzlerin (hier Synonym für die Troika) falsch läuft, speziell mit Griechenland. Dabei ist der Wahrheitsgehalt und die Funktion dieser „ Spiegel-Enthüllung“ erst einmal uninteressant, obwohl alles für die Richtigkeit der Spiegel-Meldung spricht.

Der erste Verdacht ist natürlich nicht von der Hand zu weisen, dass hier seitens Merkel und Schäuble massiv in die griechische Wahl eingegriffen werden sollte, und zwar zugunsten des konservativen Kandidaten Samaras (und zum Unmut anderer Euro-Staaten – wir machen uns mal wieder beliebt!). Denn durch die vorgezogenen Wahlen in Griechenland standen diese selbsternannten „Euro-Retter“ plötzlich vor einer Möglichkeit, die sie bisher immer verdrängt hatten: dass Tsipras der nächste griechische Ministerpräsident wird. Der „überraschende“ Zeitpunkt dieser „Enthüllung“ bzw. dieser Debatte ist also schon bezeichnend.

Ein Sieg der Syriza mit ihrem Programm einer Neuausrichtung der Troika-Politik war bisher augenscheinlich für die „Euro-Retter“ unvorstellbar, jedoch nicht für den, der auch nur einen Hauch Ahnung davon hat, was die Troika seit fünf Jahren in Griechenland veranstaltet! Die Alarmparole großer Teile der Medien ging dagegen in den letzten Monaten so: „Griechenland mit Vollgas in Richtung Abgrund“ (Hamburger Morgenpost, 30.12.2014); „Setzen sich die Linken um Syriza-Chef Tsipras durch, schlittern die Hellenen und wohl auch die gesamte EU auf eine Katastrophe zu“ (Hamburger Morgenpost, 2.01.2015). (Die Morgenpost als

Boulevard-Zeitung formuliert hier etwas prononcierter den allgemeinen Medien-Tenor.)

Der Versuch einer Beeinflussung der griechischen Wahl ist vor diesem Hintergrund also plausibel. So etwas hat Merkel zur Europa-Wahl 2014 ja schon einmal vorexerziert, als sie zu einem Blitz-Besuch nach Athen eilte, um in einer Art Road-Show ihrem bedrängten politischen Kollegen Samaras zu helfen. Mit einer eilends organisierten, jedoch ökonomisch völlig unsinnigen griechischen Kreditaufnahme „am Markt“ (zu deutlich höheren Zinsen, als Griechenland sowieso für das Rettungspaket zahlen muss und dazu noch zu Lasten des griechischen Schuldenstandes!) sollte signalisiert werden: Die Rosskur hat endlich geholfen! Unser gutes Geld für Griechenland war gut angelegt! Griechenland kriegt wieder Geld am Kapitalmarkt! (Allerdings zu dreifach abgesicherten Bedingungen und mehrfach höheren Zinsen als aktuell sonst am Kapitalmarkt zu kriegen waren, so dass nur ein finanzwirtschaftlicher Vollpfosten nicht zugegriffen hätte!) Ein plumpes Stück Bauerntheater – leider von viel zu vielen Medien bei uns kritiklos bejubelt! Da hat man einen Todkranken in ein unsichtbares Stützkorsett gesteckt, 10 Meter vor der Kamera laufen und ihn dann wieder in den Dreck fallen lassen – schon kurze Zeit später brauchte Griechenland erneut 11 Mrd. aus dem Rettungsschirm. Schon vergessen?

Nun hat Merkel den Spiegel-Bericht inzwischen dementiert, wohl auch, weil sie merkte, welch verheerende Diskussion mit eventuell kontraproduktiven Ergebnissen auf die mögliche Wahl des „Populisten“ Tsipras (so der durchgängige Medientitel) da losgetreten wurde – und so ist es denn ja auch gekommen! Pech gehabt! Nun hat der „Populist“ Tsipras die Wahl haushoch gewonnen. (Wieso sind alle Politiker, die etwas anderes wollen, als das stupide, als alternativlos („TINA“) durchgepaukte neoliberale Politikmodell, „Populisten“? Auch so ein Stück medialer Meinungsmache! Wenn Populismus bedeutet, der jeweiligen Wählerlaune prinzipienlos zu folgen und sie auszunutzen, dann ist schon eher unsere Bundeskanzlerin eine nahezu perfekte Populistin!)

Bis Merkel zu Recht oder Unrecht den Spiegel der Falschmeldung bezichtigte, um einen Deckel auf den Topf zu setzen, hatte sich aber schon eine ganze Politiker-, Medien- und Ökonomen-Riege zu Wort gemeldet, und tut das jetzt nach der Wahl verstärkt. Dabei wurden zwei Gefahrenherde für die Euro-Politik schlaglichtartig deutlich: Die „Euro-Retter“ zeigten zum einen durch ihr Erstaunen bzw. Unverständnis über das Wahlverhalten der Griechen, dass sie keinen Schimmer davon haben, was sie seit fünf Jahren in Griechenland (und natürlich auch in Spanien, Portugal und Irland) angerichtet haben. Ein solch unverzeihliches Ausmaß an Uninformiertheit, Dummheit oder zynischem Desinteresse ist in der Politik aber unverzeihlich!

Zum zweiten „enttarnten“ die Warner vor Tsipras ihre noch größere und gefährlichere Unkenntnis der realen ökonomischen Sachlage in den Krisenstaaten und an „den Märkten“: Die These von der „Verkraftbarkeit des Grexit“ (und bei Unbotmäßigkeit der Griechen auch dessen Notwendigkeit) wurde mit folgenden Argumenten begründet (und als Drohgebärde gegen Tsipras auch nach der Wahl aufrechterhalten): (a) „Die Märkte“ seien diesmal im Gegensatz zu 2012 „gelassen“, das zeige, dass das eine unriskante Operation sei. (b) Die 2012 noch dramatische Ansteckungsgefahr sei nicht mehr gegeben, da die anderen Krisenstaaten inzwischen weitgehend saniert und stabil seien. (c) Die Finanzwirtschaft sei inzwischen gefestigt durch die Bankenunion und den Krisenfonds zur Bankenrettung bzw. -abwicklung, auch hier seien Dominoeffekte kaum noch zu befürchten. (d) Der „prall gefüllte“ ESM-Topf werde eventuelle „Turbulenzen“ in den anderen Ländern auffangen. (e) Und Griechenland selber sei quasi fünf Minuten vor dem endgültigen Durchbruch zur Sanierung – da würde die Wahl Tsipras’ „fünf Jahre erfolgreiche Reformpolitik“ zerstören.

Auffallend war, dass kaum einer dieser „Propheten“ von den Griechen selber sprach, bis auf die Wiederholung der alten Vodoo-Zauberformel: „Griechenland aus dem Euro = Drachme = Abwertung = neue Wettbewerbsfähigkeit = Erholung“. (Merkels Dementi galt auch nur der Spiegel-Behauptung, sie und Schäuble dächten jetzt in Zusammenhang mit der Wahl in Griechenland an einen „Grexit“, aber die hier aufgeführten Äußerungen treffen inhaltlich sicher die Meinung aller stolzen „Euro-Retter“, auch die von Merkel und Schäuble.)

Dieses kurze politische Blitztheater nach der Spiegel-Meldung Anfang Januar und die entsprechenden ersten Reaktionen nach der Wahl sind der Stoff, mit dem ich im Folgenden meine grundsätzliche Kritik füttere, denn es zog von der Merkel’schen TINA-Politik ruckartig den Blendvorhang weg. Nun ist das brüchige Bühnenbild wenigstens teilweise bloßgelegt, und auch der noch verdeckte Rest gibt zu Sorgen Anlass. Was vor aller Augen deutlich wurde, zumindest aufblitzte oder mit den o.a. Behauptungen vorgespielt wurde, ist das, was ich in der Überschrift andeutete, wobei der Begriff „Todsünden“ natürlich metaphorisch verwendet wird. Als politische Sünde bezeichne ich im Folgenden 7 Punkte, weil sie alle auf ideologisch gegründeten Illusionen beruhen oder weil es sich um bewusste Irreführungen handelt. So oder so handelt es sich um politisch vermeidbare, vor allem aber verhängnisvolle – und für Europa vielleicht sogar tödliche Sünden!

Ich will belegen: Nicht Tsipras’ Wahl-Sieg ist ein Vorbote der Katastrophe, sondern die unglaubliche Sturheit, Phantasielosigkeit, Unkenntnis, Leichtfertigkeit, Demokratieferne und das eventuell daraus resultierende zynische Poker-Spiel gegen die Griechen (d.h. gegen alle, die es wagen, sich den Brüsseler und Frankfurter Glaspalästen entgegenzustellen)!

Sünde Nr. 1: Die wider besseres Wissen jahrelang vor allem der heimischen Bevölkerung vorgegaukelte Sicherheit der Milliardenkredite bzw. ihr unter den Teppich gekehrtes Risiko

Endlich und in dieser Klarheit erstmalig wurde der deutschen Bevölkerung bekannt, welche Risiken unsere Regierung und die „Euro-Retter“ mit ihrer Art der „Euro-Rettung“ aufgehäuft haben, welche Summen und welche möglichen Folgen! (Und nach und nach sickert durch, mit welch miesen Ergebnissen!) Bisher war ja die allgemeine Meinung, so von Schäuble und Merkel auch dargestellt, es handele sich um Kredite, die wir „auf Heller und Pfennig“ und sogar mit Zinsen zurück erhalten. Die bisherige „Gelassenheit“ der deutschen Bevölkerung beruht auf dieser Täuschung. Ich kenne aber keinen ernstzunehmenden Fachmann, der nicht davon ausgeht, dass wir diese Hilfskredite nur teilweise oder gar nicht zurück erhalten – zumindest nicht von Griechenland (ich behaupte, auch von den anderen Kandidaten, Spanien, Italien, Irland, Portugal, Zypern, höchstens teilweise).

Allein Griechenland hat 320 Mrd. Euro Schulden, 240 Mrd. davon aus öffentlichen Töpfen – also bei Ausfall von den Steuerzahlern der Euro-Länder zu erbringen. Aber auch die anderen genannten Länder stehen ja noch bei den Rettungsschirmen oder direkt bei der EZB (z.B. aufgekaufte Staatsanleihen alleine von Italien für ca. 100 Mrd. Euro) mit über 300 Mrd. Euro in der Kreide. Nun plötzlich bekam die deutsche Öffentlichkeit vorgerechnet, dass allein Deutschland mit über 65 Mrd. Euro bei einem „Grexit“ einstehen muss. Das heißt, Darlehen verwandeln sich in Schulden und tauchen so – möglicherweise durch Schäublerische Rechenkunststücke und Bilanzmanipulationen verzögert – unerwartet in Schäubles Haushalt auf. Ich fordere jeden auf, sich auszumalen, was allein ein unkoordinierter Teilausfall von 30 Mrd. Euro für uns bedeuten würde – die Schuldenbremse noch gar nicht mitbedacht!

Erinnert werden muss ja auch daran, dass wir für rein deutsche „Rettungsschirme“ (IKB, HRE, Commerzbank, versch. Landesbanken) seit 2007 schon über 25 Mrd. Euro versenkten und mit über 60 Mrd. Euro in Bürgschaft stehen, also allesBankenrettung, was ja auch für mindestens 70 Prozent aller Euroschirm-Rettungsgelder gilt (!) – auch das wurde bisher ja systematisch von den politisch Verantwortlichen und der sie stützenden Ökonomen-Fraktion unterschlagen! Die Dauerfloskel „Wir retten die Griechen, die Spanier, usw.“ ist ja eine halbe Lüge – wir haben doch stets unter anderem auch unsere deutschen Banken gerettet (die z.B. in Griechenland und in die Immobilien-Blase in Irland und Spanien mit zig Milliarden Euro involviert waren)!

Insofern ist die viel beschworene „Solidarität“, für die man dann gerechterweise auch harte Bedingungen „als Gegenleistung“ oktroyieren kann, eine reichlich verlogene Dauerphrase. Selten wurde das Staatsvolk so wie seit der Finanzkrise 2007/9 zu Ader gelassen und droht noch viel stärker zu Ader gelassen zu werden für Dinge, für die es kaum etwas konnte, und noch nie wurde es dabei so in Nebel getaucht! (Es müssen dabei ja auch noch die zig Mrd. Euro Staatsausgaben bzw. entgangenen Staatseinnahmen erwähnt werden, die die sog „Finanzkrise“ uns als Wirtschaftskrise kostete – und immer noch kostet.)

Diese Vernebelung der dramatischen finanzpolitischen Gefahren für Deutschland und für die gesamte Euro-Zone scheint mir aktuell die deutlichste Sünde zu sein wider den politisch-demokratischen Auftrag, das Wohl des (deutschen) Volkes zu verfolgen!

Sünde Nr. 2: Die verheimlichten juristischen Implikationen der ideologisch motivierten Euro-Konstruktion und die daraus resultierenden und sich heute rächenden Unterlassungssünden

Ebenso schlaglichtartig wie das „Kreditrisiko“ geriet die Tatsache in die Öffentlichkeit, dass wir Griechenland gar nicht rausdrängen können, ja, dass Griechenland nicht einmal von sich aus aussteigen kann, dass wir mit dem Euro in einer Zwangsjacke stecken! Die EU-Kommission in Brüssel musste dem in Deutschland kakophonisch aufbrausenden „Grexit“-Gerede dieses erst einmal in Erinnerung rufen: „Die Mitgliedschaft in der Euro-Zone ist unwiderruflich!“ stellte Brüssel klar. Das gilt sogar für einen Austrittswunsch Griechenlands selber, abgesehen davon, dass das bei den EU- bzw. Euro-Rechtsgrundlagen einen extrem langen politischen Prozess erfordert.

Trotz dieser Sachlage fabulieren seit Beginn der Krise immer mal wieder Politiker vom Rauswurf Griechenlands, entweder einfach dumm oder populistisch verlogen, auf alle Fälle immer mit bösen Folgen für den deutschen Steuerzahler, da „die Märkte“ dieses populistische Gerede jedes Mal mit saftigen Zinserhöhungen für Staatsanleihen nicht nur Griechenlands quittierten. Folge: Die Notwendigkeit ständig höherer Rettungsschirme! Auch Frau Merkels Dauer-Mantra von 2010 bis 2013, „Wenn der Euro scheitert, scheitert Europa“, gehört in diese Kategorie, lieber deutscher Steuerzahler! (Ein Punkt in der Sammlung kaum erklärbarer politischer Dummheiten in der Euro-Rettungs-Politik – andere benenne ich noch!)

Der Spiegel sprach in Bezug auf die juristischen Probleme zwar von „findigen Anwälten“, die da aufgeboten werden könnten, aber ein Sich-Sperren einer eventuellen Regierung Tsipras wäre nur schwer zu konterkarieren. Alle Hebel (z.B. Nichtakzeptieren griechischer Anleihen durch die EZB, Stoppen der Restzahlungen aus dem „Rettungsschirm“, Abwertung durch die Rating-Agenturen) sind juristisch und ökonomisch höchst umstritten. Der Spiegel resümiert zu recht: „Einen sauberen Automatismus, der von einem erneuten griechischen Zahlungsausfall zum Euro-Austritt des Landes führt, gibt es nicht. Eher einen langen, qualvollen Prozess…“ („Griechenlands fast unmöglicher Euro-Austritt“, Spiegel online, 5.01.2015). Was dieser „qualvolle Prozess“ negativ für die eingangs erwähnten und im Folgenden weiter abgehandelten „Tranquilizer“ der aktuellen Diskussion bedeutet, ist unschwer auszumalen.

Die „Unwiderruflichkeit“ des Euro-Vertrages ist Produkt eines schlechten Gewissens. Die Gründungsväter setzten den Euro trotz aller Bedenken, u.a. deutlich der Bundesbank und bedeutender Ökonomen, seinerzeit verfrüht in die Welt mit der neoliberalen Illusion, „der Markt“ würde die krassen Unterschiede in der ökonomischen Verfasstheit und Potenz der Mitgliedsländer schon ausgleichen durch das „OM“ der Neoliberalen, „den Wettbewerb“. (Genscher sprach seinerzeit vom Euro als „Katalysator“ einer vereinheitlichenden Wachstums-Phase durch den Euro.) Das Gegenteil ist eingetreten! (Die nächste politische „Dummheit“!)

Da man sich aber damals schon nicht ganz sicher war, ob diese Massenhochzeit so unterschiedlicher Familienmitglieder automatisch zum Familienfrieden führe, setzte man zur Disziplinierung das Zwangskonstrukt „Unwiderruflichkeit“ in die Verträge. Dass dieses umgekehrt auch den Familienverband der Erpressbarkeit auslieferte, hätte man sich als politisch Verantwortlicher denken können! (Wieder so eine politische „Dummheit“!) Die aktuelle „Grexit“-Debatte entblößt also gleich zwei Gründungs- bzw. Lebenslügen der Euro-Zone: die automatische Angleichung des Wirtschaftsraumes und seiner Lebenssituationen qua Wettbewerb, und die politisch-wirtschaftliche Beherrschbarkeit eventuell trotzdem divergierender Prozesse! (Schon bis hierhin eine unerträgliche Anhäufung politischer Fehler!)

Und sie entblößt ein weiteres, unverzeihliches Unterlassen: Folge dieser ideologischen Verranntheit ist bis heute das Unterlassen konzentrierter Anstrengungen, Regeln und Prozeduren für Staats- und Bankenpleiten und für Mitgliedschafts-Aufkündigungen zu entwickeln – „weil nicht sein kann, was nicht sein darf“! Es fehlt bis heute ein Plan B. Das ist jedoch das allerschlechteste politische Konzept, und wir bleiben so innerhalb der Euro-Zone und gegenüber „den Märkten“ erpressbar! (Die nächste politische „Dummheit“! – Zur inzwischen beschlossenen Bankenpleite-Regulierung siehe den nächsten Punkt.)

Die Sünde: Das Falsche (verfrühte Euro-Einführung) getan und das Richtige (juristische, ökonomische und organisatorische Klärung von Staatspleiten und Vertragskündigungen) unterlassen und uns damit weiterhin erpressbar gemacht!

Sünde Nr. 3: Die vorgegaukelte inzwischen erreichte Stabilität der Finanzwirtschaft als Beleg für das Ende des Ansteckungsrisikos bzw. eines Domino-Effekts

Ja – es gibt inzwischen die „Bankenunion“ und „Restrukturierungs- bzw. Abwicklungsregelungen“ für marode Banken, das ist besser als vorher! Aber ernsthafte Fachleute halten diese ganzen Konstruktionen für äußerst unzureichend und zu wenig konfliktresistent, vor allem in der absehbaren Zukunft. Ich nenne hier nur Stichworte: Ein äußerst „behutsamer“ Bilanz- und Stress-Test der Großbanken ließ in deren Keller erhebliche Mengen an Risiko-Kapital, vor allem in irischen, spanischen und italienischen Banken und deren Bad Banks. / Die Banken-Kontrolle steht erst am Anfang, muss sich also personell und organisatorisch noch einspielen, das wird Jahre dauern, und sie ist nicht unabhängig, sondern in die EZB integriert. / Die eigentlich vor der Kontrolle stehenden Notwendigkeiten, die Banken wirklich krisenfest zu machen und aus dem Casino-Modus herauszuholen, sind nur bruchstückhaft erfolgt (z.B. viel zu geringes Eigenkapital; viel zu große Verflechtung mit den Staatshaushalten und über die LTRO-Kredite alt und T-LTRO-Kredite neu sowie Draghis jetzt durchgesetzten Ankäufe von ABS-Papieren, Pfandbriefen, Unternehmensanleihen und weiteren Staatsanleihen, alles über die Banken laufend, eine eher noch steigende Verquickung, diesmal mit der EZB; viel zu starke Interbankenverflechtung; viel zu lasche Risiko-Bewertung, vor allem von Staatsanleihen; das völlige Ausklammern der sogenannten „Schattenbanken“, die ein Drittel des Finanzmarktes repräsentieren; eine völlig löchrige Trennung zwischen Spekulations- und klassischem Kundengeschäft). Jetzt hat man unzureichendes Wachpersonal am Abenteuerspielplatz, statt den Jugendlichen die Pistolen abzunehmen.

Ähnliches lässt sich zu der Behauptung sagen, es gäbe inzwischen ein stabiles Abwicklungssystem maroder Banken (bei dem der Steuerzahler auch noch weitgehend geschont werde!). Der Bankenrettungstopf ist erst in acht Jahren voll und dann mit 55 Mrd. Euro dramatisch unterfinanziert; und die viel gerühmten Haftungsregeln bei Bankenpleiten sind so vage und so löchrig, dass der Steuerzahler weiterhin im Regen steht, zumindest bei der Pleite einer internationalen Großbank. Es gibt also Fortschritte, aber kein mir bekannter neutraler(!) Bankfachmann oder Finanzfachmann hält das jetzige System für tragfähig genug.

Eine solche Tragfähigkeit z.B. bei einer Staatspleite Griechenlands zu behaupten, ist sträflicher Leichtsinn. Ich werde das im Weiteren noch vertiefen. Die Sünde ist also die wider alle Vernunft aufrecht erhaltene bzw. propagierte illusionäre Schönfärberei! Und gehen wir noch einen Schritt zurück bzw. in der Analyse tiefer: Die Grundbedingung der von mir behaupteten weiteren Krisenanfälligkeit der Finanzwirtschaft ist das Ausbleiben einer straffen Regulierung des Finanz-Casinos insgesamt. Nach der Finanzkatastrophe 2007/9 schwor die G20 in ca. 50 Punkten Besserung – so gut wie nichts wirklich Tiefgreifendes ist inzwischen passiert. Das kurze Zeitfenster, das die Krise 2008 der Politik eröffnete, die von ihr selbst freigelassene „Bestie Finanzkapital“ (Roubini) wieder zu zähmen, wurde weitgehend vertan. Alles weitere, z.B. auch die Bankenunion, sind nur zweitbeste Lösungen, und dies oft auch nur viertelherzig.

Das Gerede von der inzwischen erreichten Krisenfestigkeit ist eitler Selbstbetrug. Das Casino zockt inzwischen mit noch größeren Summen und Risiken ungehemmt weiter wie vor der Krise – mit den bekannten erneuten möglichen Folgen. (Allein die US-Banken haben für ca. 280 Billionen US-Dollar US-Derivate in ihren Büchern und machen ihre größten Gewinne beim Handel mit ihnen, also mit reinen Spekulationsgeschäften, meldet die New York Times.) Das bisher nicht verhindert zu haben ist eine der sträflichsten politischen Sünden der Gegenwart! (Es gibt leider keine Punktetabelle für politische „Dummheiten“ und Unterlassungssünden – die Euro-Politik hätte schon hier ein sattes Konto, die aktuelle EZB-Politik noch gar nicht mitgerechnet!)

Sünde Nr. 4: Das Umlügen der Finanz- und Euro-Krise in eine Staatsschuldenkrise und die dabei vorgegaukelten Heilungserfolge der Krisenländer einschließlich Griechenlands

Neben dieser leichtfertigen Gesundschreibung der Finanzwirtschaft tritt als weiteres Stabilitätsargument die Behauptung, die Krisenstaaten, ja sogar Griechenland seien inzwischen hinreichend stabilisiert, ein Domino-Effekt sei heute wenig wahrscheinlich. Belege sind gelegentliche geringe Kredit-Aufnahmen einiger Staaten „am Markt“ zu moderaten Bedingungen, wie im Zusammenhang mit deren Ausscheiden aus dem Rettungsschirm Ende 2013 von Spanien, Portugal und Irland. Belege sind hier und da minimale erste Zunahmen des BIP, minimale Haushaltsverbesserungen, minimale Abnahmen der Staatsschuldenquote und ebenso minimale Verringerungen der Arbeitslosenquote.

Das bejubeln Politiker und bestimmte Ökonomen nun schon seit über einem Jahr. Verständlich: Nach vier bis fünf Jahren „Rettung“ mit unvorstellbaren Summen und teilweise barbarischer Medizin musste man den eigenen Wählern zeigen, dass die eben aufgeführten Risiken sich gelohnt haben, dass sie eigentlich keine mehr sind, so dass die in der Regel konservativ-liberalen Regierungen ihren gequälten Völkern nun Licht am Ende des Tunnels signalisieren und Erfolge vorzeigen können.

Zuerst einmal zu den Zahlen: Im Falle Griechenlands ist der hauchzart positive Haushalt (den gesamten Schuldendienst allerdings herausgerechnet) mit Sicherheit auch ein Produkt phantasievoller Buchführung; ich vermute das auch bei den anderen Ländern. Wir müssen uns ja nur betrachten, mit welchen Buchungstricks Schäuble die schwarze Null erreicht. Bei den Arbeitslosenzahlen gehe ich generell davon aus, dass die offiziellen Angaben nicht stimmen. Paradebeispiel für diese statistische Filibusterei ist unser Land selber, wo fast alle Medien kritiklos kolportieren, wir hätten unter 3 Mio. Arbeitslose, diese Zahl in Wirklichkeit aber bei 5 Mio. liegt:

Seit einigen Jahren wird z.B. die Zahl der Umschüler oder in anderweitigen Maßnahmen eingespannten Arbeitslosen nicht mehr mitgerechnet (ein Minus von ca. 1 Mio. Personen); nicht mehr als Arbeitslose werden auch Mini-Jobber gezählt (Aufstocker), auch wenn sie nur einen 4-Stunden-Job pro Woche haben; herausgerechnet werden alle Kranken (interpersonell gerechnet ca. 5 – 10 % aller Arbeitslosen) – und so weiter. Und in Irland, Spanien und Griechenland hauen jedes Jahr (!) pro Land (!) ca. 50.000 Jugendliche ab – auch dass „korrigiert“ natürlich die Arbeitslosenzahlen.

Die gleiche Skepsis ist angebracht beim Wachstum des BIP (in Griechenland angeblich 0,6 % in 2014), abgesehen davon, dass diese Zahlen des BIP ohnehin wenig aussagen über die wirkliche Wirtschaftsleistung, das wissen wir ja inzwischen fast alle. Es muss schon genauer hingeguckt werden, wo und durch was das angebliche BIP-Wachstum entstand. In Griechenland ist es sicher der wieder deutlich angestiegene Tourismus. Da aber bei dem großen Anteil des Tourismus an der griechischen Wirtschaftsleistung das zu einem viel größeren BIP-Wachstums hätte führen müssen, muss der Rest der griechischen Wirtschaft also weiter geschrumpft sein!

So globale und hoch-aggregierte Zahlen sagen also wenig aus, wenn man nicht genau hinguckt. Dass Politik dieses Hingucken unterlässt, wenn die Zahlen „schön“ sind, ist nachzuvollziehen, dass sogenannte wissenschaftliche Ökonomen das unterlassen, sagt einiges über ihre mangelnde Professionalität aus bzw. über ihre ideologische Borniertheit. Auch, dass diese Länder wieder Geld an „den Märkten“ kriegen, hat wohl eher mit Draghis drakonischer EZB-Garantie von 2012 (das OMT-Programm) zu tun als mit gewachsener Vertrauenswürdigkeit der Länder selber. Ohne diese EZB-Garantien würden wahrscheinlich alle diese Zahlen zusammenschnurren – sie taugen auf keinen Fall für die Erfolgsmeldungen der Troika!

Und ganz generell: Bei den dramatischen Einbrüchen von BIP, Beschäftigung, Außenhandel und Haushaltsständen ist dann eigentlich fast logisch irgendwann der Bodensatz erreicht und kann jede leiseste Bewegung schon ein kleines Plus ergeben. Wir müssen die nackte Realität sehen: Spanien verlor seit 2007 (Finanzkrise!) über 3,5 Millionen Arbeitsplätze (minus 16 %); Griechenland verlor 1 Mio. Arbeitsplätze (minus 23 %, und das BIP sank um 27 %). Ähnliche Zahlen haben wir in Italien und Portugal. Die offizielle Arbeitslosigkeit 2014 lag in Griechenland bei 27,3 %, in Spanien bei 26,1 %, in Portugal bei 16,5 %, in Irland bei 13,5 %, in Italien bei 13,2 % (die letzten nicht ganz so negativen Zahlen unter anderem durch einen deutlichen Anstieg sogenannter befristeter Mini-Jobs).

Die Staatsschulden stiegen von 2007 bis 2013 in Griechenland von 240 auf 320 Mrd. Euro, in Italien von 1605 auf 2070 Mrd. Euro, in Spanien von 382 auf 960 Mrd. Euro, in Portugal von 116 auf 213 Mrd. Euro, in Irland von 25 auf 124 Mrd. Euro. Bezogen auf das BIP, also als sogenannte Staatsschuldenquote, sehen die Zahlen 2007 bis 2014 so aus: Griechenland 107/175 %, Italien 103/133 %, Spanien 36/94 %, Portugal 68/129 %, Irland 25/124 % (fast alle Zahlen Eurostat bzw. DIE WELT vom 6.01.2015).

Ich muss hier deutlich machen: Den Erfolg der „reformpolitischen Rosskur“ mit insgesamt über 500 Mrd. Euro Einsatz nach fünf Jahren an so wenigen hoch aggregierten Zahlen festzumachen, ist ökonomisch sehr fragwürdig, politisch noch viel mehr. Was ist das für eine Erfolgsbilanz? Ein Fitzelprozentchen „errechneten“ Wirtschaftswachstums soll über einen maroden, kaputtsanierten und dank wahlloser Privatisierungen und fehlender Steuergerechtigkeit seiner zukünftigen Einnahmequellen weitgehend beraubten Staat hinweg täuschen?! Was illusionieren uns die „Euro-Retter“ da eigentlich vor? Fatal: Sie glauben es wohl sogar selber! Keine gute Basis für sachliche Politik!

Und noch etwas fällt bei diesen Zahlen auf: Die Schulden sind größtenteils Ergebnis der Finanzkatastrophe 2007/9 (auch das wird „geflissentlich übersehen“), und zwar durch milliardenschwere Bankenrettungs-Programme, durch milliardenschwere Wirtschaftsförderungs-Programme gegen den Zusammenbruch der Volkswirtschaften, durch milliardenschwere Einnahmeverluste der Staaten durch die finanzkriseninduzierten Wirtschaftskrisen.

Alle hier genannten Staaten sind noch weit von ihrem Stand von 2007 entfernt, und der Rest der Einbrüche – bei allen hier aufgeführten Parametern – ist weitgehend Folge der drakonischen ausschließlichen Sparprogramme (was im übrigen jeder Ökonomie-Student im 6. Semester nachvollziehen kann), das heißt, sie sind durch die Krisenpolitik selbst gemacht! (Nur Italien und vor allem Griechenland hatten vor der Krise schon ein hausgemachtes Schuldenproblem, das sich aber durch die Krise und einseitige Sparpolitik noch dramatisch verschärfte!) Man beachte z.B. die Zahlen für Irland und Spanien vor und nach der Finanzkrise.

Der Merkel’sche Vorwurf des „Über-die-Verhältnisse-Lebens“ liest sich so ganz anders. Wenn das so ist, sollte diese Politik also schnellstens überdacht werden! Nimmt man noch die gigantischen Einnahmeverluste der Staaten aus einseitigen Steuersenkungen für „die Wirtschaft“ (i.w.S.) der letzten drei Jahrzehnte und aus der bisher nicht energisch angegangenen „Steuervermeidung“ und Steuerflucht (i.w.S.) dazu, die manche Haushaltsdefizite alleine schon halbieren würden (!), dann entlarvt sich das „Verdrängen“ der Finanzkrise und der systembedingten Euro-Krise und der wundersame plötzliche und einhellige Ersatz durch den Begriff „Staatsschuldenkrise“ als orwell´sche Meisterleistung der Sprach- und damit Politikmanipulation! Aber nur mit dieser Begriffslüge kann man die einseitige typisch neoliberale Sparpolitik als TINA-Politik plausibel machen! (Diese Lügerei ist dann schon keine X-te politische „Dummheit“ mehr, sondern zynische Machtpolitik!)

Die Zweifel an der angeblich wieder gewonnenen Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit, die sich aus diesen Zahlen ergeben, werden dramatisch verstärkt, wenn wir von den abstrakten statistischen Werten auf die reale wirtschaftliche Situation in diesen Ländern sehen: Was Jugendarbeitslosigkeit von 65% in Griechenland, 55% in Spanien, 43% in Italien und jeweils 27% in Portugal und Irland (und auch Frankreich mit 24%) für die Überlebenskraft der Länder und ihrer Wirtschaft bedeuten, kriegt ein Ökonom, der seine „Wissenschaft“ als Nebenfach der Statistik begreift, natürlich nicht in den Blick. Was der Aderlass von hunderttausenden junger, oft hochqualifizierter, vor allem aber motivierter, aktiver Arbeitskräfte in diesem Zusammenhang bedeutet, wohl auch nicht.

Was reichlich zerstörte Sozialsysteme (unter anderem ein Garant für wirtschaftliche Stabilität in Deutschland z.B. in der letzten Krise und wirkungsvoller als das heute aus durchsichtigen Gründen hochgejubelte Hartz-IV-Modell!), zugrundesanierte Gesundheitssysteme, stark lädierte Bildungssysteme, eine insgesamt gedrückte, verzweifelte, hoffnungslose, deprimierte Bevölkerung an verlorener Dynamik bedeuten, sollten sich alle auszumalen versuchen, die landauf/landab die Formel von den „unabdingbar notwendigen Reformen“ nachbeten, ohne diese und ihre Auswirkungen in den einzelnen Ländern, vor allem in Griechenland (!) auch nur ansatzweise zu kennen! (Frau Merkel hat es ja in den ganzen fünf Jahren zu drei gepanzerten Blitzbesuchen in Griechenland gebracht – ich bezweifle, ob sie oder Herr Schäuble überhaupt wissen, wovon sie reden.)

Das gilt speziell für alle, auch Journalisten, die jetzt vor Tsipras warnen, weil das „fünf Jahre Reformanstrengungen“ vernichten würde, und das auch nach dieser Wahl wiederholen, die damit ja aussagen, dass die Griechen spinnen oder leichtfertig Populisten nachlaufen. Soviel bornierte Ignoranz oder Weggucken wie hier diese Dauer-Mantras von der „Solidarität gegen Leistung“, von den „unumgänglichen Reformen“, vom „alternativlosen Weitersparen“ habe ich selten in einer politischen Krise erlebt! Ich wette: Auf Nachfrage kann so gut wie keiner dieser „Mantra-Murmler“ Genaueres angeben zu den „Reformen“! Warum fragen in den unzähligen TV-Talkshows die Moderatoren nicht mal nach!? (Erstmals ganz behutsam am Montag nach der Wahl bei Plasberg; dazu empfehle ich als Minimalaufwand bei der Wahrheitsrecherche die Reportage „Unter Null“ im Spiegel, Heft 5/2015, S. 44ff – es wäre mal ein Hauch von Ahnung, zum Beispiel auch für den Regierungssprecher Steffen Seibert, der wieder einmal absolut beleglos von „Reformerfolgen“ redet.)

Die politische Sünde der vorgegaukelten Sicherheit und Handhabbarkeit des „Grexit“ setzt sich also zusammen aus fragwürdigen statistischen Erfolgsmeldungen, unterschlagenen Risiken, unterschlagenen negativen Effekten auf Wirtschaft und Bevölkerung in den Krisenländern, aus dem begrifflichen Umlügen der Finanz- und Euro-Krise in eine „Staatsschuldenkrise“, also auf einer fast traumtänzerischen Illusionsschau der politisch Verantwortlichen! (Bei der wievielten politischen „Dummheit“ sind wir inzwischen?) Diese Sünde macht Politik nicht nur blind vor den wirklichen Risiken, mit denen wir in der Euro-Zone immer noch leben, sondern verführt auch zu eventuell hochgradig riskanten Manövern, zum Beispiel einem ungeplanten, oder zynisch provozierten „Grexit“!

Sünde Nr. 5: Die vorgegaukelte „Gelassenheit der Märkte“ als Beleg für das Ende des Risikos einer neuen Euro-Krise oder gar Finanzkrise

Es war ja schon eine Meisterleistung politisch-sprachlicher Manipulation, die von dem ehemaligen Bundespräsidenten Köhler (einem ausgewiesenen Finanzfachmann) 2009 noch als „Monster“ bezeichnete Finanzwirtschaft in den fast unschuldigen Terminus technicus „die Märkte“ umzulügen. Damit war man die politische Aufgabe der Zähmung „des Monsters“ los und sozusagen in Gottes Hand (dessen Wille ja bekanntlich unerforschlich ist). Können wir noch mitzählen, wie oft Herr Schäuble und Frau Merkel in den letzten fünf Jahren „die Märkte“ beschworen – bis in die hier abgehandelte jüngste Debatte?! Und wie oft sie die dubiosen US-Ratingagenturen zum Orakel von Delphi aufwerteten, um vor allem Möglichem zu warnen, vor allem aber, um ihre permanenten Fehleinschätzungen, Nachjustierungen, Rote-Linien-Überschreitungen, Wortbrüche (z.B. bezüglich der Rettungsschirme) zu kaschieren? Im normalen Geschäftsleben würden solcherart „Blindflüge“ kaum geduldet.

Nicht Frau Merkel, die angeblich mächtigste Frau der Welt, sondern „die Märkte“ trieben die Euro-Rettungspolitik vor sich her! Und sie werden das weiter tun, da man ihnen bis heute weder Klauen noch Zähne zog! Hier, Frau Merkel, wäre der von Ihnen ständig angemahnte „Reformeifer“ viel notwendiger und war der von Ihnen bei anderen oft kritisierte „nachlassende Reformeifer“ viel intensiver und für uns alle verhängnisvoller als in den Krisenstaaten. Das ist schon ein rechtes „Fang-den-Dieb-Spiel“, was die Euro-Retter da betreiben.

Nun hat die Ankündigung des Spiegel und auch die Wahl bisher die Märkte „sehr gelassen“ gelassen, wie die von mir kritisierten Kommentatoren des Geschehens ausdrücklich hervorhoben. Das stimmt so schon nicht genau, denn der Aktienmarkt erlebte kleine Turbulenzen, und der Euro sackte gegenüber dem Dollar noch einmal deutlich ab (und was die darauf folgende Abkopplung des Schweizer Franken vom Euro bedeutet, werden wir noch sehen) – keine „Gelassenheit“ also, aber als Wechselkurs das von der EZB im Sinne einer Wirtschaftsbelebung der EU qua Exportsteigerung eher gewünschte Ergebnis. Aber es gab, das stimmt, bisher keine spekulative Aufgeregtheit bei den Euro-Staatsanleihen. Das aber als Argument für eine angeblich risikofreie „Grexit“-Strategie zu werten ist angesichts der bekannten Unberechenbarkeit „der Märkte“ schon reichlich naiv oder vermessen – gerade von Ökonomen. Welchen Grund sollten „die Märkte“ haben, jetzt Theater zu machen?

Der Wahlsieg Tsipras’ bedeutet erstmal, dass man sehen muss, was eventuell danach passiert. Auch Finanzfachleute in „den Märkten“ wissen wohl ziemlich sicher, dass Griechenland so oder so weiter auf der Kippe steht, also entgegen der Dauerpropaganda der Euro-Retter noch lange nicht über den Berg ist – und das vor allem deshalb, weil die eigentlich notwendigen Reformen von Merkels Vasall, dem Alt-Kleptokraten Samaras, bis heute nicht angepackt wurden (zum Beispiel stringente Verwaltung, funktionierendes Steuersystem, gerechte Besteuerung, Berufsausbildung, Reform des politischen Systems, Ende der Parteien-Klientel-Wirtschaft)! Sie wissen auch, dass viele Forderungen von Tsipras (endlich einem neuen griechischen Politiker und einer neuen Partei, die nicht der alten Kleptokratenkaste angehört), gar nicht so von der Hand zu weisen sind, zum Beispiel die Sanierung der staatlichen Einnahmeseite auch als Akt sozialer Gerechtigkeit. Also abwarten bezüglich „Gelassenheit“!

Viel beunruhigender als ein Wahlsieg Tsipras’ ist wohl die auch nach der Wahl unglaublich sture, phantasie- bis kopflose Reaktion der bisherigen „alternativlosen Euro-Retter“. Ich kann nur hoffen, dass sie nicht Opfer ihrer eigenen hier losgetretenen ideologischen Beschönigungspolitik werden. Wenn dann das so provozierte „qualvolle Gezerre“ losgeht, kann sich das mit den „gelassenen Märkten“ rasch ändern, denn diese sind dank unterbliebener wirklicher Zähmung noch immer „die Bestie Finanzkapital“.

Im Gegensatz zu den hier aufgeführten rosaroten Prognosen sind als weder die Finanzwirtschaft noch die Krisenstaaten – möglicherweise auch nicht die restlichen Staaten der Euro-Zone – hinreichend krisenresistent und ansteckungsfrei. Das zu behaupten, ist leichtfertig, und Leichtfertigkeit ist eine politische Sünde per se und kann riesige weitere politische Sünden provozieren!

Sünde Nr. 6: Der trügerische Engblick der deutschen Politiker und Ökonomen nur auf Deutschland statt auf den gesamten Euro-Raum bei der Risiko-Abschätzung

Es war für mich am verblüffendsten an den Reaktionen, dass in den meisten Kommentaren nur vom deutschen Einsatz und von deutschen Garantien und damit eventuellen Verbindlichkeiten die Rede war. Diese Fokussierung ist mir schon die ganzen fünf Jahre der Euro-Rettung aufgefallen. Es ist zu oft die Rede davon, dass „wir“ Griechenland oder den Euro retten. „Müssen die Deutschen für alle zahlen?“ (Die Zeit, 13.09.2012) Nicht genug damit, dass die meines Erachtens krass unsoziale und dazu auch ökonomisch noch kontraproduktive Sparpolitik vor allem in den Augen der Betroffenen eine Merkel-Politik ist (zu Recht so gesehen) – wir treten damit auch den Nachbarn auf die Füße, die alle ihren Teil zu den Rettungsschirmen beitrugen und beitragen, relativ oft sogar stärker als wir, zumindest in der Pro-Kopf-Belastung. Die Krönung dieser Einäugigkeit oder besser Arroganz war der Spruch „In Europa wird jetzt deutsch gesprochen“ (CDU-Fraktionschef Volker Kauder auf dem CDU-Parteitag November 2011). Dieser Tunnelblick der deutschen Politik (und eines großen Teils der deutschen Medien) verhindert im Krisenfall eine realistische Einschätzung der Risiken. Aber allein der Blick auf Deutschland reicht schon, bei der Aussage „das ist verkraftbar“ am Verstand der so Redenden zu zweifeln. Wenn es dann auch noch Ökonomen sind, wie Herr Hüther oder Herr Sinn, verzweifelt man auch an dieser Wissenschaft.

Meines Erachtens haben die bisher von mir aufgeführten „Unbekannten“ das „Grexit“-Abenteuer schon hinreichend als undurchführbar erwiesen. Aber nun kommt als „Matt“-Zug noch das Folgende dazu: Stellen wir uns vor, nur ein Teilverlust von z.B. 30 Mrd. Euro für Deutschland träte ein, anhand einer stümperhaften Regie möglicherweise auch noch von heute auf morgen! Dann wären 30 Mrd. Euro Kredite, die irgendwo als Papier bei uns im Tresor liegen, „irgendwann“ zusätzliche 30 Mrd. staatliche, also öffentliche Schulden, die uns als Steuerzahler belasten.

Dies auch nur teilweise durch Kürzungen auszugleichen, würde den Deutschen endlich die Augen öffnen für das, was wir ziemlich kaltherzig um ein Vielfaches seit fünf Jahren der normalen, an der Krise unschuldigen Bevölkerungsmehrheit in den Krisenländern zumuten (während in Griechenland die Reeder-Milliardäre immer noch keine Steuern zahlen, was Herr Samaras nicht antastete und was auch die Troika, sonst rigoros im Durchsetzen von Kürzungen bei den Kleinen, nicht anfasste). Über was wundern sich dieser Herrschaften eigentlich bei diesem Wahlergebnis!?

Aber stellen wir uns das bitte nicht nur im schlimmsten Fall für die 65 Mrd. öffentlicher Gelder vor, für die die deutschen Steuerzahler eventuell einstehen müssen allein für die griechischen Schulden, sondern betrachten die ca. 180 Mrd. restlichen Schulden, die die anderen Länder bei einem „Grexit“ schultern müssten. (Und vergessen wir nicht: allein Griechenland hat noch zusätzliche Schulden von ca. 80 Mrd. Euro im Privatsektor, in der Regel bei europäischen Banken!) Ich erwähne bei diesem Szenario nur zwei Wackelkandidaten: Italien und Frankreich! Keine Phantasie mag sich die Folgen ausmalen! Da wird die weggeredete „Ansteckungsgefahr“ neben den Banken auch in den Staatshaushalten mit Wucht zuschlagen. Von wegen „verkraftbar“!

Und auch die Beruhigungspille, dass der Rettungsfonds ESM ja mit 500 Mrd. Euro „prall gefüllt“ sei, um strauchelnden Ländern zu helfen, ist ja naiv. Im ESM lagert ein Grundkapital der beteiligten Euro-Länder, ähnlich dem Eigenkapital der Banken, den Rest muss sich der ESM von Fall zu Fall am Kapitalmarkt besorgen, natürlich mit Garantien der besagten Länder. Da taucht zusätzlich zu den schon erwähnten Ausfallrisiken der bisherigen Rettungsschirmkredite ein möglicher weiterer Schub an Umwandlung von Krediten in handfeste Haushaltsschulden auf. (Ein Forderungsausfall gegenüber dem ESM heißt ja indirekt ein Forderungsausfall gegenüber dem Finanzmarkt. Die Herrschaften werden also sofort auf die staatlichen Bürgschaften zurückgreifen!) Und dann kommt der wirkliche „Matt-Zug“: Alle betroffenen Länder haben die Schuldenbremse verbindlich festgelegt. Wie soll das dann überhaupt gehen? Es wird ein Hauen und Stechen geben! Dass von den „Klugrechnern“ nach dem Spiegel-Artikel und bis heute nach der Wahl daran keiner dachte, ist schon erschütternd genug. (Politische „Dummheit“ … in der „Euro-Rettung“!)

Aber noch erschütternder werden die praktischen Folgen sein! Wir müssen uns endlich damit auseinandersetzen: Da Haushaltskürzungen in den restlichen Ländern in solchen Größenordnungen (die wir aber bedenkenlos den Krisenvölkern aufdiktierten) bei uns politisch nicht gehen und außerdem zu Wirtschafts- und Finanzkrächen führen würden (ähnlich wie unsere Sparauflagen und „Reformen“ in den Krisenländern dort die Wirtschaftskrisen und Schulden weiter hochschnellen ließen), bleiben eigentlich nur zwei Wege: (1) Das geht nicht, den „Grexit“ können wir uns überhaupt nicht leisten! In diese Sackgasse haben uns unsere tollen Euro-Strategen leider hineinmanövriert. Oder aber: (2) Wir setzen die Schuldenbremse (und damit natürlich auch die Maastricht-Kriterien!) aus, dann ginge das zumindest rechnerisch. Aber die Folgen wären völlig unkalkulierbar und unverantwortbar!

Fazit: Diese Sünde Nr. 6 ist nun wohl die ökonomisch gefahrvollste und die für mich erstaunlichste, was die Zurechnungsfähigkeit unserer Euro-Strategen angeht. Selten habe ich einen politischen Prozess von solcher Tragweite mit einem solchen Ausmaß an Unwissenheit, Dummheit, ideologischer Verblendung, Zynismus, ja Lügenhaftigkeit kommentiert erlebt, wie das, was sich hier in Deutschland nach dem Spiegel-Artikel Anfang Januar und auch jetzt nach der Wahl noch abspielt. Wo droht eigentlich die wirkliche Gefahr?

Und nun kommt noch eine siebte Sünde hinzu, die europa- und demokratie- bzw. freiheitspolitisch verderblichste!

Sünde Nr. 7: Die Nichtbefassung mit der Frage, was die Troika-Diktate bei der Mehrheit der griechischen Bevölkerung wirklich angerichtet haben, noch weniger, was bei einem „Grexit“ mit den Griechen selber passiert, einschließlich der Nichtbeachtung der Folgen, die das für die vielbeschworene Wertegemeinschaft EU haben kann. Ganz generell: Wie halten wir es mit der Demokratie, den Wünschen der Völker und unseren vielbeschworenen Werten?

So wenig, wie ich im Krisenpalaver der Tage nach der Spiegel-Meldung die Schuldenbremse erwähnt fand, hörte ich Erwägungen, was der „Grexit“ mit den Griechen selber machen wird. Hier ist allerdings ein grundsätzliches Problem der bisherigen Euro-Politik angesprochen: Wie halten wir es mit der Demokratie, der Freiheit, der angeblichen Wertegemeinschaft Europa bzw. EU – gerade angesichts der schrecklichen Szenen in Paris wieder wortreich beschworen!? Ich erinnere an den empörten Aufschrei der Verantwortlichen, als der damalige griechische Ministerpräsident Papandreou im Oktober 2011 eine Volksabstimmung in Griechenland zu den Sparplänen und Strukturauflagen der Troika erwog.

Hier wird ein Grundfehler der Troika-Politik deutlich: Kungeln eines demokratisch nicht hinreichend legitimierten Gremiums mit oft teilkorrupten, historisch verbrauchten, i.d.R. konservativen Politiker-Eliten; Nicht-Einbeziehung der gesellschaftlichen Kräfte vor Ort zur Konzipierung kooperativer Rettungsmodelle ohne TINA-Diktat und ohne den Kollateralschaden von weiteren Wirtschaftseinbrüchen und dann neuen Staatsdefiziten; stattdessen mehr oder weniger bemäntelte Diktate aus Brüsseler und Frankfurter Glaspalästen, Diktate zudem von schreiender sozialer „Unausgewogenheit“! Ich empfehle jedem, der von den „unumgänglich notwendigen Reformen“ redet, doch einmal vor Ort zu recherchieren.

Und wenn dann das in einer Demokratie Selbstverständliche passiert, dass sich das Volk eventuell eine Regierung wählt, die es nicht so missachtet, nicht so skrupellos einseitig zur Kasse bittet, die nicht seine Sozialstrukturen schreddert, dafür aber die Reeder-Milliardäre weiterhin steuerfrei entkommen lässt und weiterhin millionenschwere Waffenkäufe (von deutschen Rüstungsschmieden!) durchzieht, dann tut man im deutschen Blätterwald, aber auch in den deutschen Politik- und Wirtschaftsetagen so, als wäre das eine undankbare Ungezogenheit. Juncker warnte im Dezember sogar vor „falschen Wahlen“. Sind unsere politischen „Eliten“ wirklich so blind und dumm, dass sie dieses Wahlergebnis nicht kommen sahen!? (Und Griechenland wird ja nicht allein bleiben). Und sind sie so undemokratisch, ja antidemokratisch, dass sie die Griechen dafür kritisieren und indirekt bedrohen (zum Beispiel am letzten Montag auf der EU-Finanzminister-Konferenz)?!

Da bestimmt ein technokratisches, mehr oder weniger anonymes und demokratisch kaum legitimiertes Gremium (Troika) mehr oder weniger diktatorisch in einem geradezu dramatischen Umfang über ein Mitglied der EU, und dem so „behandelten Volk“ wird das Recht abgesprochen, darüber zu befinden, ob es sich das so gefallen lassen muss! Es geschieht seit fünf Jahren eine Entmündigung und Entwürdigung ganzer Völker, in der Sache und im Ton. (CSU-Söder: „An den Griechen muss jetzt ein Exempel statuiert werden.“ – Das ausgerechnet aus deutschem Munde!)

Man zwingt Völkern eine wirtschaftliche Depression mit Massenarbeitslosigkeit und Zukunftslosigkeit auf, große Teile der Bevölkerung werden in die Armut und vor die Suppenküchen getrieben und müssen dann zusehen, wie die „Agenten des Reichtums“ (als solche erscheint die Troika), die ihnen dieses Programm aufzwingen, den jeweiligen Geldadel ihres Landes ungeschoren lassen. Bei aller berechtigten Kritik und Empörung über die seinerzeit wirklich unerträglichen Zustände in Griechenland sollte eine solche „Sonderbehandlung“, eine solche Arroganz, eine solche unglaublich ungerechte Verteilung der Strafaktionen die Empörung und den Änderungswillen der betroffenen Bevölkerungsteile wohl verständlich erscheinen lassen. Wen das wundert oder wer das kritisiert, der zeigt, dass er vom Projekt eines „demokratischen Europas“ kaum eine Vorstellung hat.

Diese Art der Politikgestaltung birgt zwei Gefahren: erstens unangemessene, unsachliche, problem- und sachferne Beschlüsse, und zweitens statt Kooperation anonymes, ohnmachtsförderndes Durchregieren. Die Folgen sind schon jetzt sichtbar: Die Länder werden zerrissen von inneren Problemen und emotional eher „re-nationalisiert“ mit deutlichen Zuwächsen vor allem an den rechten Rändern und mit steigender anti-europäischer Haltung. Diese Art der „Euro-Rettung“ fährt das Europa-Projekt seit fünf Jahren beharrlich gegen die Wand. Leider werden wir alle dafür politisch und finanziell bluten müssen!

Merken die Glaspalast-„Reformer“ nicht, was sie in den Ländern anrichten mit dieser Art Politik?! Haben sie keine Vorstellung, was zum Beispiel nach einem Ausscheiden Griechenlands in Griechenland selber, in der Folge aber auch in vielen EU-Regionen passieren wird oder könnte, wenn dieser „Grexit“ nicht mit langfristigen und sicher teuren Stützprogrammen abgesichert wird – so es denn überhaupt rechtlich geht?! Oder glauben die Vertreter dieser Art von „Rettungspolitik“ wirklich an diese Un-Sinns-Formel, die auch jetzt wieder auftaucht: „Griechenland raus aus dem Euro = Wiedereinführung der Drachme = Abwertung der Drachme = sinkende Lohnstückkosten bzw. steigende Wettbewerbsfähigkeit = wirtschaftlicher Aufstieg“. So etwas können nur Ökonomen von sich geben, die ihre sogenannte Wissenschaft längst zu einem statistischen Spezialgebiet der Mathematik degradiert haben, die keine Ahnung mehr davon haben, dass Wirtschaft von Menschen – und im steigenden Casino-Kapitalismus wohl eher mit Menschen – gemacht wird, aber von und mit Menschen eben!

Realistischer ist wohl eher das folgende Szenario: „Die Rückkehr zur Drachme würde die krasseste Form des Ausverkaufs nicht nur öffentlichen, sondern auch privaten griechischen Besitzes bedeuten: Alle reichen Griechen, die bereits große Euro-Bestände ins Ausland geschafft haben, würden sich mittels billig eingetauschter Drachmen die Besitztitel aneignen, die als „Notverkäufe“ auf den Käufermarkt geworfen werden, und natürlich würde sich das Auslandskapital bei dieser „Fiesta“ die größten Brocken aneignen, z.B. im Tourismus-Sektor.

Für die griechische Gesellschaft wäre das Resultat eine historisch einmalige Vermögensumverteilung, deren Dimensionen die gesellschaftlichen „Verluste“, die bei dem aktuellen, durch pure Not erzwungenen Privatisierungsprogramm anfallen, weit in den Schatten stellen würden.“ (Niels Kadritzke, Deutsche Ausgabe von Le Monde diplomatique, „Die griechische Krise und das Dilemma der Privatisierungen“, zit. n. www.nachdenkseiten.de, 30.05.2011.) Für Griechenland würde das mit Sicherheit die Herstellung langfristig „albanischer Verhältnisse“ bedeuten. Können sich unsere sturen „TINA“-Politiker so etwas nicht vorstellen?

Das wäre politisch auch für die EU nicht verkraftbar, weil es Europa zerreißen könnte. Natürlich müssen wir umgekehrt zu unserem Vorwurf in „Sünde 2“, dass ein Nachdenken über Ausscheiden nicht angestellt wurde, „da nicht sein kann was nicht sein darf“, endlich Konzeptionen und Regularien entwickeln, die es Ländern, die es nicht schaffen, sich in den Euro-Markt zu integrieren, die das als politisch nicht verkraftbar erleben, weil es ihnen z.B. ein Politikmodell aufzwingt, dass die Bevölkerung nicht oder nicht mehr will, erlaubt, auszuscheiden. Das geht aber – im Interesse aller Beteiligten (!) – nur mit genauen, abgestimmten Verfahren und langfristig wirtschaftlichen und finanziellen Absicherungen.

Es wird also bei dem Zwangskonstrukt Euro so oder so sehr, sehr teuer. (Und nochmals: Es ist im Kern ein Euro-Problem und keine „Staatsschuldenkrise“; wären Griechenland und die anderen Krisenstaaten nicht in der Euro-Zone, wäre das ganze Theater so nicht passiert, und es würde uns auch kaum berühren!) Diese Szenarien müssen also politisch, juristisch und ökonomisch entwickelt werden, um aus dieser nach beiden Seiten hin erpresserischen Euro-Zwickmühle herauszufinden. Das ist im Übrigen in Ansätzen möglichst schnell zu entwickeln, um einen irgendwie gearteten Schuldenschnitt, der meines Erachtens in absehbarer Zeit unumgänglich ist, so hinzukriegen, dass er nicht zu Eruptionen führt. Hier gilt ja im Prinzip auch, was ich zu einem einfach mal so durchgezogenen „Grexit“ schrieb. Es geht beides nur schmerzhaft, aber im regulierten Fall im gegenseitigen Interesse geplant, abgestimmt und solidarisch. Und mit der Schuldenbremse geht es allerdings sowieso nicht. Dieses Fehlkonstrukt wird ja endlich in einigen Ländern angezweifelt. Es ist auf keinen Fall haltbar, auch ohne „Grexit“ nicht. (Dieser Notwendigkeit widme ich in meinem Buch „Rettet Europa, nicht nur die Banken“ ein ganzes Kapitel, S. 291 ff.)

Statt populistischem und unverantwortlichem „Grexit“-Gerede (vor allem nicht als Poker-Verhalten gegenüber den Griechen!) gilt es festzuhalten: Jede Forderung nach Auflösung oder Aufteilung der Währungsunion, jede Forderung nach Ausschluss oder Austritt einzelner Mitglieder, jedes Reden von Staatsbankrott ist erst vertretbar (wenn evtl. auch noch so notwendig!), wenn gleichzeitig hinreichend plausible Szenarien durchgespielt sind, mit welchen Folgen und mit welchen (wohl langfristigen und teuren!) Begleitprogrammen das gehen könnte. Eine mögliche Berechtigung solcher Schritte (und die wird es geben können!) ist ohne diese Vorklärungen seriös nicht zu fordern! Die Spielfigur „Grexit“ ist aktuell selbstmörderisch. Das wissen wahrscheinlich auch die Griechen und lassen sich damit nicht ins Boxhorn jagen. Lassen wir in den jetzt anstehenden Verhandlungen diese Figur in der Kiste!

Die bisher in der EU und speziell in der Euro-Zone mangelnde demokratische Verankerung und mangelnde Transparenz und die gegenüber den Völkern, speziell dem griechischen, rücksichtslose und kontraproduktive Troika-Politik, die sich in der „Euro-Rettungspolitik“ als auf eine Europa-zerstörerische Weise für die demokratische Kultur Europas ausweist, ist eine Sünde am Mark der „Wertegemeinschaft Europa“.

Epilog: Was heißt das jetzt für die EU bzw. die Euro-Zone, vor allem für uns als Bürger?

Tsipras ante portas! Warum dieses elende Schreckensszenario? Bei der Politik, die die Troika seit fünf Jahren in Verbund mit der meist kleptokratischen jeweiligen Oberschicht mit den Völkern in den Krisenstaaten, speziell mit dem griechischen Volk betreibt, war Tsipras als Wahlsieger nicht verwunderlich, sondern sogar notwendig, um den meines Erachtens für Europa verhängnisvollen Troika-Kurs zu korrigieren. Ich habe nach diesem Wahlsieg neue Hoffnung für Europa! Jetzt sind unsere langsam systemblinden und abgestumpften Troika-Veteranen endlich herausgefordert, über ihr Tun nachzudenken und wirklich zu verhandeln – mit den jeweils aktuellen Regierungen und mit den gesellschaftlich tragenden Kräften der Länder, um möglicherweise bessere, den politischen und ökonomischen Strukturen angemessenere Lösung zu finden zur Stabilisierung und ökonomischen Belebung!

Und die alten Euro-Burgherren sind hoffentlich klug genug, dabei wenigsten zwei Grundeinsichten zu gewinnen in der nächsten Zeit: (a) Wir werden Griechenland nicht los ohne das Risiko neuer und unvorhersehbarer Crashs oder langfristiger und teurer Begleitprogramme. (b) Die angesichts der griechischen Notlage zynischen Sprüche, die jetzt bezeichnenderweise und flächendeckend fielen, wie: „Verträge sind Verträge!“, „Es wird keinerlei Zugeständnisse geben“. „Es gibt nichts zu verhandeln“, gehören in die Tonne – die Sprüche, erstmal nicht die Verträge, über die nun verhandelt werden muss (muss!).

Die Kälte, mit der viele Politiker in dieser aktuellen Situation verordnen, dass die Griechen keinerlei Recht haben, über die Lösung ihrer Probleme mitzubestimmen, ist schon erschreckend. (Das gilt übrigens auch für die Sozialdemokraten Gabriel und Oppermann, die in diesem Chor eine Art Schäuble-Verschnitt darstellten!) Es hat Merkel und die Troika jedoch schon vorher nicht gerührt, wenn Millionen Bürger in den Krisenländern immer wieder auf die Straße gingen, aber es hat sie augenscheinlich wohl beeinflusst, wenn z.B. Milliardäre, Banker oder Rüstungslobbyisten bei ihnen anklopften.

Wenn zum Beispiel die IWF-Chefin Lagarde postuliert: „Es kann keine Sondervereinbarungen für einzelne Länder geben“, dann zeigt das diese ganze elende Diktat-Mentalität (allerdings IWF-Tradition) und Phantasielosigkeit! Es war ja schon absolut schädlich und dumm, dass die Troika nach Griechenland allen weiteren Krisenstaaten ähnlich rigide und ökonomisch widersinnige Rosskuren verschrieb, da sowohl deren Situation in Art und Weise und in ihrer Genese teilweise drastisch unterschiedlich waren und sind. Aber wenn Länder offensichtlich gesonderte Probleme haben oder in der Krise entwickeln, ist es für politisch verantwortlich Handelnde Gebot Nummer 1, „Sondervereinbarungen“ zu treffen! Was ist das für eine eigenartige Politiker-Kaste? Solche Sprüche und Reaktionen sollten jedem Nachdenklichen Angstschweiß verursachen!

Angesagt durch die „Tsipras-Drohung“ ist also Wandel. Nicht nur, dass wer A sagt, nicht B sagen muss, sondern einsehen kann, dass A falsch war (Brecht) – eine Einsicht, die wirklich kluge und nichtpopulistische Politiker wohl beherzigen sollten –, sondern dass solche Rigiditäten in demokratischen Verbänden nicht gehen, sollte Konsens werden. Sonst können wir in der EU und der Euro-Zone gleich Wahlen abschaffen und zur Tarnung noch mehr (!) Merkel’sche „marktkonforme Demokratie“ plus noch mehr omnipotenter Bürokratiemonster einführen.

Ich bin sogar sicher, das wünschen sich nicht wenige EU-Strategen in Brüssel, Frankfurt oder auch in den Landeshauptstädten – ich habe aber die Hoffnung, die Völker lassen das nicht mehr mit sich machen! Es wäre gut, wenn sich Angela Merkel auch in ihrer Euro-Politik auf die Werte „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ und „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ besinnt, die sie auf dem Trauermarsch am 11.01.2015 in Paris eindringlich beschwor; diesmal hoffentlich nicht wieder mal nur wohlfeile Phrasen, sondern wirklich (neues) politisches Handeln! Außerdem soll es in der GroKo auch noch Sozialdemokraten geben – vielleicht bewegen die sich ja auch einmal!

Diese Wahl ist für das griechische Volk eine Möglichkeit – aus seiner Sicht! –, dem ungerecht verteilten Druck, den Erniedrigungen, der inzwischen fast totalen Fremdbestimmung und Entmündigung, dem wirklichen und steigenden Alltagselend zumindest teilweise zu entgehen! Tsipras will z.B. endlich die Reichen besteuern! Ist das nun Populismus? Oder wäre es nicht das Erste gewesen, was die Troika in ihrem Sinne in Griechenland hätte durchsetzen müssen?! Die Euro-Zone wird also mit Tsipras, wenn er gewinnt, verhandeln müssen – verhandeln, nicht nur reden, wie Merkel inzwischen huldvoll zugestand! Was er verlangt, ist zumindest teilweise nachvollziehbar. Auch Merkels Parteifreunde – Samaras in Griechenland und Rajoy in Spanien – haben ihr ja schon im letzten Jahr deutlich zu verstehen gegeben, dass weitere Sparmaßnahmen und Auflagen mit ihnen nicht zu machen sein werden, das könnten sie ihren Völkern nicht mehr zumuten. Recht haben sie – und mit Populismus hat das überhaupt nichts zu tun!

Vielleicht kann man mit dem unverbrauchten Newcomer Tsipras ja sogar einige „konsolidierende Handlungsbedarfe“ besser in Griechenland umsetzen als mit dem Wendehals Samaras und der alten kleptokratischen Politiker-Kaste, auf die die Troika bisher setzte: Zum Beispiel eine durchgreifende Politik zur Verhinderung weiterer Kapital- und Steuerflucht und zur Steuerverpflichtung der ja nicht wenigen griechischen Vermögenden! Oder einen resoluten Abbau der immer noch verbliebenen Reste der Klientelwirtschaft, die Samaras nur zögernd in Angriff nahm.

Oder eine wirkliche monetäre und personelle Sanierung der griechischen Banken, die immer noch voller Giftpapiere stecken, unter Heranziehung ihrer i.d.R. mulitimilliardären Privateigentümer, damit die Banken griechischen Unternehmen und kommunalen Einrichtungen wieder Kredit geben.  Oder als Re-Reform die Wiederherstellung des zerstörten Gesundheitssystems – ein wirklicher Schandfleck der Troika-„Reformen“ und für die Wiederbelebung und „Mitnahme“ der Bevölkerung unumgänglich. Oder eine Eindämmung der Korruption. Vor allem als Sofortmaßnahme eine Rücknahme der brutalen Verelendungspolitik für die Falschen – wenn dafür kein Geld des ESM da ist, nachdem unsere „Euro-Retter“ bedenkenlos 240 Milliarden Euro via Griechenland zu 80 % in die Rettung und Sanierung des betroffenen Finanzsystems pumpten, dann wäre das für die Werte-Gemeinschaft EU beschämend!

Die Griechen sollten darüber auch zuerst verhandeln, da sie aktuell mit der Forderung nach einem Schuldenschnitt vor die Wand laufen, aber innenpolitisch Erfolge brauchen und mit einem solchen Sozialprogramm gegen die absolute Verelendung breiter Bevölkerungskreise auch bei den Völkern der Geberländer Unterstützung fänden. Das setzt allerdings voraus, dass die Medien unsere Bevölkerung endlich darüber aufklären, was „Sparpolitik“ in Griechenland hieß und heißt! Ein Schuldenschnitt (außer Zins- und Rückzahlungserleichterungen als „verdeckter Schuldenschnitt“) ist aktuell kaum realisierbar, da er auf dieselben Hindernisse stößt, wie der „Grexit“, das gilt natürlich auch wegen des befürchteten Ansteckungseffektes für die anderen Schuldenländer.

Aber ein Paradigmenwechsel in der aktuellen „Spar- und sog. Reformpolitik“ ist nicht nur in Griechenland angesagt, und er würde das „Ansteckungsrisiko“ eher ins Positive wenden bzw. den „Euro-Rettern“ das aktuell drohende ängstliche Mauern etwas unmöglicher machen. Es wäre zum Beispiel unbedingt angebracht – und das nicht nur für Griechenland – in Form eines Schuldenaudits, wie Attac es vorschlägt, mit allen Krisenländern einen Fiskalplan zu erarbeiten, der die Länder nicht weiter erstickt und die Belebung der Wirtschaft ermöglicht! 0,6 % BIP-Wachstum in Griechenland sind angesichts der zitierten dramatischen Einbrüche ja wirklich kein Grund zum Jubeln!

Die neoliberale Finanzpolitik hat uns in die Krise geführt und die Schulden erst explodieren lassen, die neoliberal gestrickte „Spar- und Reformpolitik“ hat seit fünf Jahren mit ungeheurem finanziellen Aufwand und noch größeren finanz- und geldpolitischen Risiken (!), mit durchaus auch anfechtbareren „Reformen“ und teilweise unsäglichen Zumutungen für die normalen Bevölkerungen, die Krisenstaaten und die ganze Euro-Zone, ja die EU in eine absehbar dauerhafte rezessive Wirtschaftskrise geführt – und „Land in Sicht!“ rufen nur die Ausgucker mit dem Auftrag, die Schiffsbesatzung bei Laune zu halten. Was für ein mieses Ergebnis!

Hätte man den Mut gehabt, die überquellenden spekulativen Finanzmärkte „einzuhegen“ und die kluge, politische und ökonomische Einsicht, mit den Krisenländern (so sie denn dann überhaupt in solche Krisen geraten wären) kooperativ (!) stabilisierende und belebende Programme zu entwickeln, statt mehr oder weniger diktatorisch den neoliberalen Furor loszutreten, was hätte man in diesen fünf Jahren mit diesen Summen Positives aufbauen können, wie stünde die EU und die Euro-Zone heute da und wieviel Elend wäre vermieden worden?

Wenn es nicht gelingt, eine mobilisierende, kooperative Euro-Politik und eine EU auch als Sozial-Union und damit als wirklich demokratische Wertegemeinschaft hinzukriegen, wird die jetzige einseitig auf Wettbewerbsfähigkeit und Schuldenabbau gedrillte Politik uns eine Dauerkrise bescheren, die die Euro-Zone permanent in Atem hält und letztlich zu dem führt, was kluge Ökonomen von Anfang an prophezeiten. Das Konstrukt „Euro“ fliegt uns eines Tages um die Ohren! Aber das wird dann für alle Beteiligten ein ökonomisches Blutbad!

Man mag zu Tsipras stehen, wie man will: Seine Wahl könnte der Anfang eines rettenden Richtungswechsels im Euro-Europa sein – und eines Mutmachens für die Bevölkerungen, Europa wieder oder endlich zu ihrem Projekt zu machen! Man kann – hallo Medienvertreter vor allem – Tsipras auch als europäischen Hoffnungsträger sehen!

Nachtrag zum „Wächteramt der Medien“: Die ZDF-Sendung „Berlin direkt“ vom 18.01.2015 brachte folgende „Erkenntnisse“: Das Ausscheiden aus dem Euro sei verkraftbar, meinte Michael Fuchs, der stellvertretende Fraktions-Vorsitzende der CDU. „Davon gehe ich aus, das ist heute eben kein großes Problem mehr, weil wir Mechanismen haben, wie den ESM, den Europäischen Stabilitäts-Mechanismus, wie die Bankenunion.“ Und der Kommentar des ZDF dazu: „Nach fünf Jahren Dauerbeschäftigung mit Athen braucht die Griechenland-Sage morgen wohl eine neue Überschrift, denn für das Schicksal Europas ist Griechenland heute mehr denn je nebensächlich. … Deutschland und die Griechen – was einst als unumstößlich verkauft wurde, wird heute still beiseite gelegt. Das Schicksal des Euro zumindest entscheidet sich nicht in Athen.“ (Wir werden sehen!)

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Das neue Buch von Reinhard Crusius.

Reinhard Crusius, geboren 1941 in Gütersloh; viele Jahre Arbeit als Schriftsetzer; Studium über Zweiten Bildungsweg in Hamburg; Diplom-Volkswirt, Dr. rer. pol.; Habilitation an der TU Berlin. Diverse Aufsätze, Rundfunkbeiträge und Veröffentlichungen.

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EUROVISIONEN Renaissance der Demokratie? Syriza-Sieg: Die politische Union in Europa ist gescheitert

Der überraschend klare Wahlsieg des Links-Bündnisses Syriza in Griechenland ist der Anfang vom Ende einer echten politischen Union in Europa. Ein Volk hat seine Elite abgewählt, weil es nicht fremdbestimmt sein will. Andere Staaten werden dem griechischen Beispiel folgen. Doch erst wenn es Alexis Tsipras gelingt, die mächtigen Institutionen EZB und IWF herauszufordern, wird man tatsächlich von einem Sieg der Demokratie für Europa sprechen können.

Mit dem klaren Votum für Syriza haben die Griechen die EU in eine Sinnkrise gestürzt. Es geht um den Konflikt zwischen der Demokratie und zentralen, nicht legitimierten Institutionen. (Foto: dpa)

Mit dem klaren Votum für Syriza haben die Griechen die EU in eine Sinnkrise gestürzt. Es geht um den Konflikt zwischen der Demokratie und zentralen, nicht legitimierten Institutionen. (Foto: dpa)

Griechenland wird einen Schuldenschnitt bekommen: Er wird vermutlich nicht so heißen, sondern in einer Streckung der griechischen Schulden auf 50 oder mehr Jahre bestehen. Das ist zunächst unangenehm für die europäischen Steuerzahler: Sie müssen einen Teil der 240 Milliarden Euro, die zur Stabilisierung der Oligarchen, der politischen Seilschaften und den Banken in Griechenland verwendet wurde, mehr oder weniger abschreiben. Denn erwirtschaften kann Europa diese Summen nicht mehr. Europa ist überaltert, nicht besonders innovativ und viel zu stark von internationalen Konzernen beherrscht. Die Wertschöpfung kommt längst nicht mehr den Arbeitern zugute, die Produkte erstellen, sondern den Shareholdern, die in Katar, China oder sonstwo sitzen. Damit ist klar: Um höhere Profite zu erzielen, werden Gewinne abgeführt, Arbeitsplätze nach Asien verlagert oder weitere Niedriglohn-Sektoren forciert.

Genau diesen globalen Sog haben die Griechen als erste zu spüren bekommen. Die Griechen haben die Fremdbestimmtheit abgewählt und hoffen, dass mit Syriza alles besser wird. Das ist ihr gutes Recht: Alexis Tsipras hat den Griechen bei der Wahl eine Erhöhung des Mindestlohns versprochen – von 586 Euro monatlich auf 751 Euro. Die Renten sollen ebenfalls angehoben werden. Knapp 10.000 entlassene Staatsbedienstete sollen ihren Job zurückerhalten. Es soll keine weiteren Privatisierungen geben, wobei zu sagen ist: Die alte Regierung hat so gut wie keine Privatisierungen durchgeführt. Sie hat es der Troika immer nur versprochen, aber nicht im Schlaf daran gedacht, ihre Bastionen in der Wirtschaft zu schleifen.

Alle diese Pläne sind teuer – und müssen von den Griechen erwirtschaftet werden. Wie sie das machen, ist ihre Sache. Welche Gesetzte die Syriza zu diesem Zweck erlassen und auch durchsetzen will, ist eine nationale Angelegenheit. Tsipras hat als vorrangiges Ziel erklärt, die „Kleptokratie“, wie er das nennt, zu entfernen. Wenn ihm das durch entsprechende Regeln gelingt, ist das sicher kein falsches Anliegen.

Doch innerhalb der EU in ihrer gegenwärtigen Struktur sind diese Pläne nicht zu realisieren. Denn die EU versteht sich als gemeinsamer Wirtschaftsraum, in dem von Helsinki bis Athen, von Riga bis Madrid und von Bukarest bis Lissabon dieselben Spielregeln gelten sollen. Das Ziel der EU ist es, diese Vereinheitlichung noch zu forcieren: Mit dem Freihandelsabkommen TTIP sollen dieselben Spielregeln in den USA und in den EU-Staaten gelten. Welche Wirkung das haben wird, hat eine Studie kürzlich aufgezeigt: Arbeitsplätze werden vernichtet, das Lohndumping wird zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Selbst das Rechtssystem – heute in Europa immer noch zersplittert und national geprägt – soll sich dem US-System anpassen.

In einem solchen semi-globalen Wirtschaftsraum hat eine Politik, wie die Syriza sie plant, keinen Platz. Wenn Tsipras seine Versprechungen halten will, muss er national umverteilen – was schon für sich genommen eine Herkules-Aufgabe ist.

Tsipras sieht sein Konzept allerdings im Zusammenhang mit anderen linken Parteien in Europa. Er hat angekündigt, die EU neu erfinden zu wollen und mit einer starken linken Allianz sozialer machen zu wollen. Nur wenn diese Allianz gelingt, wäre auch eine Umverteilung in Europa möglich. Sie würde jedoch nicht von den reichen Konzernen auf die schlecht bezahlten Arbeiter umverteilen, sondern von den vermeintlich reichen Sparern in Nordeuropa zu den ihre national geprägten, starken Regierungen in den Südstaaten.

Genau hier stellt sich das Problem für alle Euro-Staaten: Die Wähler können nicht mehr entscheiden, was mit ihren Steuergeldern geschieht. Sie sind auf die eine oder andere Weise politischen Parteien ausgeliefert, deren Handeln sie nicht bestimmen können. Das ist jedoch der zentrale Punkt einer Demokratie. Der Gesellschaftsvertrag beruht darin, dass die Bürger bestimmte Aufgaben an den Staat abtreten. Dieser Staat wird dann kontrolliert – durch Parlamente und Medien – und am Ende können die Wähler entscheiden, ob die Regierung einen guten Job gemacht hat oder nicht.

In dieser Hinsicht ist eine sympathisch-umverteilende sozialistische EU genauso undemokratisch wie die unsympathische EU der Lobbyisten und Konzern-Vertreter in den Parlamenten, in der Bürokratie (EU-Kommission) oder in den Regierungen.

Vor allem aber gibt es in dieser Hinsicht gravierende Unterschiede zwischen den einzelnen Staaten. Das Steueraufkommen der Niederlande ist mit dem von Griechenland nicht zu vergleichen. Die Korruption in Bulgarien ist mit der in Schweden nicht zu vergleichen. Die Innovationskraft der deutschen mittelständischen Unternehmen ist völlig anders als jene der großen französischen Staatsbetriebe.

All diese Probleme haben in der Vergangenheit ihren Ausdruck in der Krise der gemeinsamen Währung gefunden: Wenn eine Währung die Wirtschaftskraft eines Staates ausdrücken soll, muss es Unterschiede geben. Einzelne Volkswirtschaften müssen in der Lage sein, ihre Währung auf- oider abzuwerten, um auf externe Entwicklungen in einer globalisierten Welt zu reagieren. Die abrupte Abkoppelung des Schweizer Franken vom Euro war Ausdruck dieses Dilemmas: Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat vor der Illusion kapituliert, dass eine Währung nach Belieben manipuliert werden kann.

Das griechische Wahlergebnis dürfte daher mittelfristig die EU in ihrer aktuellen Struktur erschüttern: Denn ein flächendeckender, europaweiter Umverteilungsprozess, wie ihn die Syriza will, ist nicht ohne den politischen Willen in allen Nationalstaaten möglich – zumindest nicht freiwillig. Es ist denkbar, dass Spanien mit der sehr erfolgreichen Podemos-Bewegung dem griechischen Beispiel folgen wird – und sich ebenfalls noch in diesem Jahr von der zentralen Austeritäts-Doktrin verabschieden wird. Auch in Italien ist eine ähnliche Entwicklung möglich wenngleich es um Beppe Grillo etwas ruhiger geworden ist. In Frankreich dagegen wird der politische Kollaps des Systems von rechts kommen: Der Front National vertritt ähnliche wirtschaftspolitische Positionen wie die Syriza und teilt mit Tsipras die Beschreibung der EU als Feindbild Nummer 1, kann jedoch aus gesellschaftspolitischen Gründen niemals eine Allianz mit linken Parteien eingehen.

Es ist kein Zufall, dass die sozialdemokratischen Parteien auf die griechische Wahl besonders aufgeschreckt reagiert haben: Syriza hat sie in ihrem politischen Kerngeschäft zertrümmert. Die ehemals stolze Arbeiterpartei Pasok ist von 44 Prozent der Stimmen vor nur fünf Jahren auf 4,7 Prozent marginalisiert worden. Dieses Menetekel steht jetzt in den Hauptquartieren aller sozialdemokratischen Parteien an der Wand. In Frankreich droht den Sozialisten dasselbe Schicksal, nur eben mit Marine Le Pen.

Es ist nur schwer vorstellbar, dass es Koalitionen zwischen den europäischen Konservativen und Linksbündnisssen wie der Syriza geben kann. Auch wenn Parteien wie die CDU heute viel linker sind als noch vor 20 Jahren – der ideologische Graben scheint kaum zu überbrücken zu sein, von einer gemeinsamen Politik ganz zu schweigen. Und auf Dauer ist die Rolle des Junior-Partners für Sozialdemokraten an der Seite von Linken – wie in Thüringen – keine politische Alternative.

Es ist zu erwarten, dass jeder Staat seine eigenen politischen Gefechte wird ausfechten müssen. Bisher sind, wie eine Studie neulich gezeigt hat, Sozialdemokraten und Konservative im EU-Parlament und auf nationaler Ebene gerne im Gleichschritt marschiert. In Österreich zeigt sich, wohin das führt: Eine dritte Partei, die FPÖ, kam aus dem rechten Eck und kann den Sozialisten ihre Kernwähler, die Arbeiter abspenstig machen.

Daher steht die EU nach der historischen Griechenland-Wahl vor einer Grundsatzentscheidung: Will sie im Beharren auf einer zentralen Wirtschafts-Ideologie die Demokratie abschaffen? Die Frage stellt sich gleichermaßen für einen von Lobbyisten und Globalisierungs-Fetischisten geprägte genauso wie für einen sozialistischen Ansatz.

Das böse Erwachen für Syriza könnte spätestens dann kommen, wenn die neue griechische Regierung auf Konfrontation mit den undemokratischen, aber mächtigen Institutionen wie der EZB oder dem IWF geht. Dann wird der Held vom Wahlsonntag feststellen müssen, dass sein Handlungsspielraum schon sehr gering ist. Mit der Entscheidung der EZB, Staatsanleihen zu kaufen, hat auch Griechenland erheblich an nationaler Souveränität verloren. Mario Draghi kann auch Tsipras stoppen.

Spätestens wenn dieser Konflikt aufbricht, wird sich zeigen, ob die Syriza eine revolutionäre Kraft für ganz Europa oder eine Episode ist, die als letztes Aufbäumen eines in seiner Würde und Selbstbestimmung tief verletzten Volkes eine Randnotiz der Geschichte bleibt.

Dieser Prozess wird sich möglicherweise über Jahre ziehen. Am Ende werden wir wissen, ob sich Griechenland nach der Erfindung der Demokratie auch deren Wiedererweckung auf die Fahnen wird schreiben können.

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