F. William Engdahl
Am 21. April flog der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu nach Moskau zu Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin hinter verschlossenen Türen. In den Medien hieß es, die Gespräche drehten sich um die Lage in Syrien. Zu diesem Thema hatte Moskau einen regelmäßigen Dialog über den »Heißen Draht« eingerichtet, um mögliche militärische Zusammenstöße zu vermeiden. Anscheinend haben Netanjahu und Putin jedoch ein ganz anderes Thema diskutiert, nämlich die mögliche russische Beteiligung an der Erschließung des riesigen israelischen Erdgasfelds Leviathan vor der Küste im östlichen Mittelmeer. Sollten die beiden zu einem Abkommen gelangen, könnte dies enorme geopolitische Auswirkungen auf Putins und Russlands strategische Rolle im Nahen Osten sowie auf die Zukunft des Einflusses der USA in der Region haben.
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Die israelische Presse berichtete über die Gespräche zwischen Netanjahu und Putin, als ginge es um »die Koordination der Luftstreitkräfte über dem vom Krieg zerrütteten Land und den Status der Golanhöhen …«
Nach Berichten der staatlichen russischen Medien diskutierten Netanjahu und Putin jedoch auch über eine mögliche Rolle, die das russische Staatsunternehmen Gazprom, der größte Förderer und Vermarkter von Erdgas auf der Welt, als Teilhaber auf dem israelischen Erdgasfeld Leviathan spielen könnte.
Die russische Beteiligung an der ins Stocken geratenen Erschließung des israelischen Gasfeldes würde das finanzielle Offshore-Risiko der israelischen Gasunternehmens verringern und die Sicherheit der Gasfelder erhöhen, da die russischen Verbündeten, die Hisbollah im Libanon oder der Iran nicht wagen würden, gegen russische Joint Ventures vorzugehen.
Wenn die russischen Berichte zutreffen, könnte das auf einen wichtigen neuen Schritt von Putins Energie-Geopolitik im Nahen Osten hindeuten, einen, der Washington eine schwere Niederlage bei seinen zunehmend ungeschickten Manövern zur Beherrschung des Weltzentrums für Öl und Gas zufügen könnte.
Russische Interessen
Viele außenstehende Beobachter dürften überrascht sein, dass Putin sich auf einen solchen Dialog mit Netanjahu, einem langjährigen Verbündeten der USA, einlassen konnte. Dahinter verbergen sich viele Faktoren. Einer davon ist die Hebelkraft, die der russische Präsident durch die Anwesenheit von über einer Million ethnischer Russen in Israel ausüben kann. Unter diesen befindet sich ein Kabinettsmitglied in Netanjahus Regierung. Noch wichtiger ist, dass sich die Beziehungen zwischen Washington und Tel Aviv – um es gelinde auszudrücken – abgekühlt haben, seit die Regierung Obama gegen heftige Proteste Netanjahus 2015 das Atomabkommen mit dem Iran unterzeichnet hat.
Die Situation wurde von Putin und Russland geschickt ausgebeutet.
Washington will eine politische Aussöhnung zwischen Netanjahu und der Türkei Erdoğans erzwingen. Darunter fällt ein Abkommen, durch das die Türkei ein wichtiger Abnehmer des israelischen Offshore-Gases werden würde, wenn umfassende Kaufverträge für den Erwerb von Leviathan-Gas zustande kämen. Für Washington würde dies die türkische Abhängigkeit von russischen Gasimporten, die heute zu über 60 Prozent besteht, verringern. Im Gegenzug sollte Israel zustimmen, der Türkei mit Genehmigung Washingtons moderne israelische Rüstungsgüter zu verkaufen.
Doch Berichten zufolge sind die bilateralen Gespräche zwischen der Türkei und Israel wegen zahlreicher Streitigkeiten ins Stocken geraten. Das öffnet für Russland eine Tür, um ins Spiel zu kommen.
Putin hat am 16. März den israelischen Präsidenten Rivlin zu Gesprächen nach Moskau eingeladen, nachdem Russland überraschend entschieden hatte, seine Streitkräfte wieder aus Syrien abzuziehen. Bezeichnenderweise hat Netanjahu, der oft mit seinem Präsidenten in persönlichem Streit liegt, den Besuch genehmigt. Eine Absicht war dabei offensichtlich, den neuesten Besuch Netanjahus in Moskau vorzubereiten.
Golanhöhen, Leviathan, Türkei
Daraus ergeben sich komplexe realpolitische Verhandlungen zwischen Putin und Netanjahu mit höchstem geopolitischem Einsatz in Bezug auf den gesamten Nahen Osten und darüber hinaus.
Zu den Einzelheiten gehört, wie sich jetzt andeutet, vielleicht eine Partnerschaft mit Gazprom und deren Investitionen in die Erschließung und Vermarktung des Erdgases aus Israels riesigem Offshore-Gasfeld Leviathan. Dazu gehört auch eine Art von Vereinbarung zwischen Russland und Israel, um Israel auf den syrischen Golanhöhen Sicherheit vor Angriffen der Hisbollah-Kämpfer, die von Teheran unterstützt werden, zu gewährleisten, und schließlich ein Abkommen, wonach Israel von den von Washington gewünschten Gas- und Waffenlieferungen an Erdoğan Abstand nimmt, von einem Geschäft, das Gazprom und jedes russische Druckmittel auf die Türkei schwächen würde.
Israels Leviathan
Zunächst zum Leviathan: Ende 2010 machte Israel die Entdeckung eines gewaltigen »super-gigantischen« Offshore-Gasfelds in einem Gebiet bekannt, das es seine »Ausschließliche Wirtschaftszone« (AWZ) nannte. Es befindet sich in dem von Geologen sogenannten Levante- oder Levantinischen Becken. Das Vorkommen liegt etwa 84 Meilen westlich des Hafens von Haifa und in einer Tiefe von drei Meilen. Man benannte es nach dem biblischen Seeungeheuer Leviathan.
Drei israelische Energieunternehmen unter Führung von Delek Energy und in Zusammenarbeit mit Noble Energy aus Houston in Texas gaben erste Schätzungen bekannt, wonach das Feld 16 Billionen Kubikfuß Gas enthält und damit die größte Erdgas-Entdeckung der Welt in tiefen Gewässern seit einem Jahrzehnt wäre. Zum ersten Mal seit Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 wäre das Land nun Selbstversorger in Sachen Energie und sogar in der Lage, ein großer Gasexporteur zu werden.
Wenn wir etwa fünf oder mehr Jahre von heute aus nach vorne blenden, stellen sich die Welt und Israels Auftritt als größerer geopolitischer Spieler ganz anders dar. Die Weltmarktpreise für Erdöl und Erdgas sind seit Ende 2014 dramatisch eingebrochen und es gibt wenig Anzeichen für eine ernsthafte Erholung.
Die israelische Innenpolitik hat darüber hinaus die behördliche Genehmigung für die Erschließung von Leviathan ausgebremst. Am 28. März wies Israels Oberster Gerichtshof den Vorschlag der Regierung Netanjahu zurück, Änderungen an Regulierungen für die Erdgasindustrie einzufrieren. Er hat damit gedroht, die Entwicklung von Offshore-Feldern zu verzögern. Das Gericht widersetzte sich einer vorgeschlagenen »Stabilitäts«-Klausel, die wichtige regulatorische Änderungen zehn Jahre lang ausgesetzt hätte. Das Fehlen genehmigter staatlicher Rahmenbedingungen hat die Erschließung von Leviathan verzögert. Nobel Energy und sein israelischer Partner, die Delek Group Ltd., sind die beiden wichtigsten Betreiber von Leviathan.
Was sich nach Russlands früherem Vorstoß im Jahr 2012 mit Bezug auf das Leviathan-Projekt noch geändert hat, ist die Tatsache, dass Netanjahu und die Regierung Obama wegen Iran und zahlreicher anderer Fragen kaum noch miteinander im Gespräch sind. Ebenso befindet sich der Weltmarkt für Öl und Erdgas in einer Depression und Israel könnte dringend potente Investoren aus dem Ausland gebrauchen, um Leviathan zu erschließen.
Ebenso bekommt das Unternehmen Noble Energy in Houston, Texas jetzt die negativen Auswirkungen des Verfalls der Energiepreise in den letzten beiden Jahren, inmitten der schlimmsten Depression der Ölindustrie seit Jahren, zu spüren und denkt an den Verkauf seiner Beteiligung an verschiedene internationale Projekte, um den Sturm zu überstehen.
Da tauchen Wladimir Putin und Gazprom von rechts auf der Bühne auf.
Im Oktober 2015 berichteten israelische Quellen, Wladimir Putin habe den Vorschlag über die Beteiligung der Gazprom an Israels einsetzender Erschließung der Offshore-Gasfelder neu formuliert. Nach Aussagen des anerkannten israelischen Journalisten Ehud Ya‘ari hatte Putin erneut das russische Interesse zum Ausdruck gebracht, dass Gazprom sich in den israelischen Erdgassektor durch eine Beteiligung an dem großen und teuren Leviathan-Projekt einbringen solle. Ya‘ari gilt als jemand, der über die israelische Nahostpolitik sehr gut informiert ist. Er gab des Weiteren bekannt, dass Netanjahu, der sich 2012 einem früheren Geschäft mit Gazprom widersetzt hatte, seine Einstellung von damals überdenken würde.
2012 hatte Gazprom das höchste Angebot für den Kauf einer 30-prozentigen Beteiligung an dem Leviathan-Projekt eingereicht. Noble Energy, der Partner Israels am Leviathan-Projekt unter Führung von Delek Energy, hatte damals beschlossen, einen anderen strategischen Partner ins Boot zu holen, weil ihm finanzielle Mittel, Fachkenntnisse und Verbindungen fehlten, um das Potenzial der Vorkommen möglichst rasch zu nutzen.
Die Kosten für die Erschließung der Erdgas-Entdeckung wurden zusammen mit dem Bau einer Erdgasverflüssigungs-Anlage (LNG) allein schon auf 10 bis 15 Milliarden US-Dollar geschätzt. Damals waren die Besitzer des Leviathan-Blocks uneins. Die Delek-Gruppe des israelischen Milliardärs Yitzak Tshuva war von einem Abkommen mit Gazprom angesichts seiner geopolitischen Macht und seiner weltweiten Vermarktungsfähigkeiten begeistert. Die US-amerikanische Noble Energy war dagegen, wahrscheinlich auf Drängen von Washington. Gazprom verlor dieses Geschäft.
Im Oktober 2015, einen Monat nach Beginn der militärischen Intervention Russlands in Syrien, sagte Ya‘ari zu der in Sydney erscheinenden Zeitung The Australian, Putin habe vor Kurzem zu Netanjahu als Gegenleistung für ein Leviathan-Geschäft gesagt: »Wir würden sicherstellen, dass es zu keiner Provokation gegen die [israelischen] Gasfelder seitens der Hisbollah oder der Hamas kommt.« Angesichts der neuesten militärischen Rolle, die Russland in Syrien spielt, war das offensichtlich kein leeres Versprechen.
Türkei und Israel
Ein weiterer Bestandteil eines möglichen großen Handels zwischen Russland und Israel um Energie und Sicherheitsgarantien würde für Israel bedeuten, die von den USA unterstützten Verhandlungen mit der Türkei zugunsten der Investitionen Gazproms in das Leviathan-Projekt und russischer Sicherheitsgarantien für die israelischen Offshore-Energie-Projekte zu beenden.
Anfang März dieses Jahres war US-Vizepräsident Joe Biden, der ein verblüffendes Geschick hat, sich in Gebieten zu zeigen, in denen Washingtons Neokonservative besondere Zugeständnisse oder Vereinbarungen erreichen wollen, zu einem Treffen mit Netanjahu in Tel Aviv aufgetaucht. Bei Gesprächen der beiden hinter geschlossenen Türen setzte Biden – nach Berichten der führenden Tageszeitung in Israel, Ha‘aretz – Netanjahu unter Druck, sich mit Erdoğan auf ein Geschäft zu einigen, wonach Gas aus Israels Leviathan-Feld an die Türkei ginge, um das Gas von Gazprom abzulösen. Biden forderte auch nachdrücklich, dass Israel modernste Waffen an das NATO-Mitglied Türkei verkauft.
Seitdem haben laufend geheime Gespräche zwischen Israel und der Türkei stattgefunden, allerdings ohne greifbaren Erfolg. Israels Verteidigungsminister Mosche Ja‘alon hat im Namen des israelischen Militärs den israelischen Medien in den letzten Wochen mehrmals vorgetragen, die IDF verlange als Voraussetzung für eine Entspannung zwischen Israel und der Türkei, dass Erdoğan die Befehlszentrale der Hamas in der Türkei schließt, von wo aus – wie Israel behauptet – Terroraktivitäten gegen Israel angeordnet wurden. Die Türkei hat dem nicht zugestimmt. Das israelische Militär zieht angeblich jedem Geschäft mit dem unberechenbaren Erdoğan die Beibehaltung der militärischen Zusammenarbeit mit Russland vor.
Offensichtlich hat Putin nicht zufällig nur wenige Tage nach den Gesprächen Bidens mit Netanjahu seine Einladung nicht direkt Netanjahu, sondern diplomatischer dem israelischen Präsidenten Rivlin angeboten.
Rivlin wurde unter dem zeremoniellen Vorwand des 25. Jahrestags der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern nach Moskau eingeladen. Er agierte eindeutig als diskreter inoffizieller Kanal zur Vorbereitung der jüngsten Gespräche in Moskau zwischen Putin und Netanjahu. Dabei ging es unter anderem um Gazproms Beteiligung am Leviathan-Projekt und um die Zukunft der von Israel besetzten Golanhöhen. Dort hatte ein verdächtig gut vernetztes US-Energieunternehmen, Genie Energy, in dessen Aufsichtsrat Namen wie Dick Cheney und Lord Rothschild auftauchen, behauptet, über seine israelische Tochtergesellschaft eine riesige neue Ölquelle entdeckt zu haben.
Jüngste Bemühungen Netanjahus, US-Präsident Obama für die Unterstützung einer ständigen Besetzung der Golanhöhen durch Israel zu gewinnen, stießen angeblich auf taube Ohren. Wahrscheinlich hatte Netanjahu bei seinen Gesprächen mit Obama die Berichte über die ausgiebigen Ölfunde der israelischen Tochtergesellschaft der US-amerikanischen Firma Genie Energy im Hinterkopf.
Bei seinen Moskauer Gesprächen hatte Präsident Rivlin Putin gebeten, dabei behilflich zu sein, wieder die Anwesenheit der Beobachtertruppe der Vereinten Nationen für die Truppenentflechtung auf den Golanhöhen zwischen Israel und Syrien herzustellen. Er wies dabei darauf hin, dass Israel darauf bedacht ist, sicherzustellen, dass die Hisbollah und andere vom Iran unterstützte Gruppen nicht das Chaos im vom Krieg zerrütteten Syrien und ein Machtvakuum auf den Golanhöhen ausnützen können, um einen Stützpunkt in der Nähe der Grenze für Angriffe auf Israel einzurichten. Jüngste Kämpfe hatten die UNO gezwungen, sich aus dem Gebiet zurückzuziehen.
Daraus wird klar, dass für alle Seiten – Russland, Israel, die Türkei, Washington, amerikanische und israelische Energieunternehmen und die russische Gazprom – in Bezug auf die sich ergebende geopolitische Lage enorm viel auf dem Spiel steht. Das muss weiter beobachtet werden …
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