Freilich, Sprachästheten und Demokraten jagt es einen kalten Schauer über den Rücken. »Öffnungsdiskussionsorgien«! Es wird wohl Merkels Geheimnis bleiben, wie sie darauf gekommen ist, jedes Vorurteil über die technokratische Brutalität des Deutschen in nur einem Wort zu bestätigen.
Was aber natürlich viel wichtiger (und beunruhigender) ist als Merkels sprachliche Irrlichterei, ist das Bild einer Kanzlerin, die ganz offensichtlich langsam die Geduld mit ihren unbotmäßigen Untertanen verliert, und diese im Stil einer unzufriedenen Alleinherrscherin zur Ordnung ruft. Es verhält sich genauso, wie Thor Kunkel es in seinem soeben erschienenen Wörterbuch der Lügenpresse beschreibt: »Sprache – jede Sprache – ist und bleibt Medium des Denkens und der Grundlage von Weltverständnis schlechthin.« Das gilt erst recht für das Kauderwelsch der ewigen Kanzlerin. Da helfen auch keine nachgereichten Erklärungen, die »Öffnungsdiskussionsorgien« sind in der Welt und demonstrieren Merkels Probleme mit dem demokratischen Diskurs sowie ihr autoritäres Politikverständnis.
Wieder einmal, im Übrigen. Dieser Rückfall in den DDR-Bürokraten-Jargon, steht in einer Reihe mit ihrer Entscheidung aus dem Herbst 2015, als sie verkündete, von nun wäre es unmöglich, Grenzen zu schützen, sowie mit ihrer Anweisung nach der Ministerpräsidentenwahl in Sachsen-Anhalt, die Wahl wieder rückgängig zu machen.
Jedes Mal zeigte die Kanzlerin aufs Neue ihre Verachtung für den demokratischen Prozess. So auch bei den »Öffnungsdiskussionsorgien«. Dabei muss man stets vor Augen haben, worum es eigentlich geht, nämlich um die Frage, wann die Menschen zu ihrem Alltag und an ihre Arbeitsplätze zurückkehren können? Wann sie wieder Geld verdienen können und keine Angst mehr um ihren Job haben müssen? Es geht schlicht um die Wiedererlangung von Normalität.
Natürlich müssen dabei Risiken abgewogen und bewertet werden. Aber dafür bedarf es der Diskussion, eben eine »Öffnungsdiskussion«, in der alle Seiten und Argumente angehört werden.
So würde eine pluralistische Gesellschaft verfahren, die Vertrauen hat in den demokratischen Prozess und um die Fruchtbarkeit des Konflikts weiß. Also das genaue Gegenteil von dem, was die Berliner Republik darstellt. Hier denunziert die Regierungschefin den verständlichen Wunsch nach einer demokratiepolitischen Notwendigkeit als bacchantische Ausschweifung, als eine absonderliche Lustbarkeit womöglich, auf jeden Fall aber als eine Ungehörigkeit. Daran zeigt sich erneut, um noch einmal auf Das Wörterbuch der Lügenpresse zurückzukommen, dass »die Lenkungskaste und ihre medialen Mundwerker glauben, nicht den geringsten Respekt vor Deutschen haben zu müssen. Sie halten sie tatsächlich für Kinder, die sie gängeln, einschüchtern und abstrafen können.«
Kann man seine Demokratieferne deutlicher beweisen, als CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den »Öffnungsdiskussionsorgien«?
Blöde Frage. Natürlich. Merkel und mit ihr der Merkelismus sind noch lange nicht am Ende. Sie werden noch viele Stilblüten hervorbringen, über die wir spotten, bevor wir sie vergessen werden. Doch das sollten wir nicht. Der neue, nächste Totalitarismus kündigt sich, wie immer, in der Sprache an. Deren ideologische Vergewaltigung und Gefügigmachung bedeutet ihm Herrschaft. Deshalb gilt es genau hinzuhören, so schwer es auch fällt, und zu dokumentieren. Wie die Sprache verbogen, sinnentleert und technisiert wird, wie sie misshandelt und vom bunten Zeitgeist als Hure herausgeputzt wird. Kunkel hat damit in seinem Wörterbuch der Lügenpresse damit begonnen. Es kann nur ein Weckruf sein, weiter dranzubleiben.